Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein

Kirche in WDR2 | 14.11.2022 | 00:00 Uhr

Sie

steht gebeugt vor den Soldatengräbern auf unserem Friedhof.

Mit

einem Rechen schiebt sie das Laub zur Seite.

Ich

frage sie, ob sie hier die Grabstätte ehrenamtlich pflegt, oder ob sie jemanden

kennt.

Sie

deutet auf ein Kreuz. Darauf der Name und das Lebensalter des Toten.

25

Jahre alt ist er geworden.

„Er

ist doch mein Vater. Den darf ich doch nicht einfach vergessen!“, sagt sie.

Ob

sie sich an ihn erinnern kann, möchte ich wissen.

Sie

sei erst vier Jahre alt gewesen, als er starb.

Aber

sie erinnere sich daran, dass ihr Vater sie überall hin mitgenommen habe.

Oft

habe er seine kleine Tochter auf seinen Schultern getragen.

Oder

„Engelchen-Flieg“ mit ihr gespielt.

„Das

sind schöne Erinnerungen“, sagt sie. „Nicht gerade viele, aber schöne“.

Im

März 1945 ist ihr Vater gefallen. Kurz vor Kriegsende.

„Gefallen“.

Was für ein schreckliches Wort. Was für eine Beschönigung.

Wer

gefallen ist, der steht wieder auf.

Der

Vater der alten Dame ist nicht „gefallen“, er ist getötet worden.

Umgebracht.

Seines Lebens beraubt.

Er

hat nicht miterleben dürfen, wie sein kleines Mädchen aufgewachsen ist, welche

Lebensentscheidungen sie getroffen hat. Und er hat auch seine Enkelin nie

kennengelernt.

Fast

80 Jahre sind seitdem vergangen und wieder tobt ein Krieg in Europa, der das

Potential hat, ungebremst zu eskalieren.

Wieder

sterben junge Männer auf beiden Seiten der Fronten.

Wieder

verlieren Kinder ihre Väter.

Wieder

verlieren Väter ihr Leben und ihre Lebensmöglichkeiten.

Wer

wird in 80 Jahren ihre Gräber pflegen?

Und

wie wird man sich dann an diesen Krieg erinnern?

Krieg

soll nach Gottes Willen nicht sein! Das haben die christlichen Kirchen der

ganzen Welt 1948 in Amsterdam gemeinsam erkannt.

Welchen

Grund Menschen auch immer sehen, andere zu bekriegen – es soll nach Gottes

Willen nicht sein.

Einen

Krieg kann man nicht schönreden, es gibt keinen gerechten, keinen sauberen

Krieg.

Krieg

ist immer brutal, gemein, unmenschlich.

Krieg

hinterlässt nur Opfer.

Die,

die ihres Lebens beraubt werden.

Und

die, die ohne ihre Väter und Männer und Brüder und Söhne weiterleben müssen.

Denen

für die nächsten 80 Jahre nur Grabsteine bleiben.

„Er

ist doch mein Vater. Den darf ich doch nicht einfach vergessen!“, hat die alte

Dame auf unserem Friedhof gesagt.

Nein,

niemand darf die Getöteten vergessen.

Lassen

Sie uns beten, dass der Krieg in Europa bald zu Ende geht.

Die

Liste der Toten nicht ins Unendliche geht.

Krieg

soll nach Gottes Willen nicht sein.

Um

der Menschen willen.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 14.11.2022
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