Der Mensch sieht nur was vor Augen ist

Kirche in WDR2 | 09.09.2022 | 00:00 Uhr

Wiederholung vom

30.03.19, WDR2

Der

Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an, ist eine biblische

Wahrheit, die inzwischen sprichwörtlich geworden ist.

Abends liege ich oft auf dem Sofa und surfe durch die Kleinanzeigen – nur so,

um abzuschalten.

Ich

erfahre dabei mehr über andere Menschen, als auf irgendeiner andern Social

Media Plattform. Ob Youtube oder Instagram, ob Twitter oder Facebook – meistens

sind die längst durchdesignt und fest in den Händen der sogenannten

"Influencer“: Menschen, die gegen Bezahlung mit ihren Nachrichten das

Kaufverhalten anderer Nutzer beeinflussen wollen. Aber ausgerechnet die

Kanäle, bei denen es explizit ums Kaufen und Verkaufen geht, sind dem wahren

Leben am nächsten. Denn hier landet alles, was Menschen zu schade zum

Wegwerfen finden. Sinnvolle Sachen wie gut erhaltene Möbel oder

Kinderkleidung, gebrauchte Autos, Boote und Werkzeugmaschinen. Aber auch Dinge

wie Salz- und Pfefferstreuer in Form von Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß.

Gebrauchte Grabsteine und einen Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Modell

"Panther“, zum Selbstausgraben und Selbstabholen in der Ukraine, Preis drei

Millionen Euro.

Kleinanzeigen

erzählen Geschichten über die Verkäufer. Sie gleichen manchmal wahren

Exorzismen: Ich erinnere mich gut an den Alpha-Spider, den eine junge Frau

als "Dreckskarre“ in all seinen rostigen, technischen Mängeln beschrieb.

Es war das Auto ihres Ex Freundes, das der – neben den Scherben der Beziehung –

zurückgelassen hatte.

Der Mensch sieht

nur, was vor Augen ist. Meistens. Aber in den Kleinanzeigen lassen wir tiefe

Einblicke zu. Wie tickt der Verkäufer von Sofakissen mit Wehrmachtsdekor

wirklich, tief in seinem Innersten, wenn er in der Beschreibung seiner

Nazi-Devotionalien darauf hinweist, dass die Kissen bei 30 Grad waschbar sind?

Gott

aber sieht das Herz an. Kleinanzeigen verraten, welches Herz Menschen haben. Eines,

das oft skurrile Geschmäcker hat. Eines, das abwegige politische Ansichten

supporten kann. Eines, das sich im Laufe des Lebens verändert hat. Aber ebenso

oft auch eines, das an Erinnerungen hängt, das schöne Dinge bewahren will,

dass sich gegen die Wegwerf-Gesellschaft stemmt und Anderen die eigenen

Schätze gönnt.

Ich surfe gerne über die Kleinanzeigen. Manchmal schüttele

ich den Kopf, manchmal lache ich herzhaft und manchmal bin ich gerührt oder

interessiert.

Und manchmal, ganz leise denke ich darüber nach, wie es Gott wohl gehen mag,

wenn er über unsere Herzen surft. Ich glaube, dass er da auch manchmal

schmunzelt. Bestimmt aber immer liebevoll.

Redaktion: Pastorin Sabine

Steinwender-Schnitzius

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  • 9.9.2022
  • Matthias Köhler
  • © CCO Pixabay
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