Wiederholung vom
30.03.19, WDR2
Der
Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an, ist eine biblische
Wahrheit, die inzwischen sprichwörtlich geworden ist.
Abends liege ich oft auf dem Sofa und surfe durch die Kleinanzeigen – nur so,
um abzuschalten.
Ich
erfahre dabei mehr über andere Menschen, als auf irgendeiner andern Social
Media Plattform. Ob Youtube oder Instagram, ob Twitter oder Facebook – meistens
sind die längst durchdesignt und fest in den Händen der sogenannten
"Influencer“: Menschen, die gegen Bezahlung mit ihren Nachrichten das
Kaufverhalten anderer Nutzer beeinflussen wollen. Aber ausgerechnet die
Kanäle, bei denen es explizit ums Kaufen und Verkaufen geht, sind dem wahren
Leben am nächsten. Denn hier landet alles, was Menschen zu schade zum
Wegwerfen finden. Sinnvolle Sachen wie gut erhaltene Möbel oder
Kinderkleidung, gebrauchte Autos, Boote und Werkzeugmaschinen. Aber auch Dinge
wie Salz- und Pfefferstreuer in Form von Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß.
Gebrauchte Grabsteine und einen Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Modell
"Panther“, zum Selbstausgraben und Selbstabholen in der Ukraine, Preis drei
Millionen Euro.
Kleinanzeigen
erzählen Geschichten über die Verkäufer. Sie gleichen manchmal wahren
Exorzismen: Ich erinnere mich gut an den Alpha-Spider, den eine junge Frau
als "Dreckskarre“ in all seinen rostigen, technischen Mängeln beschrieb.
Es war das Auto ihres Ex Freundes, das der – neben den Scherben der Beziehung –
zurückgelassen hatte.
Der Mensch sieht
nur, was vor Augen ist. Meistens. Aber in den Kleinanzeigen lassen wir tiefe
Einblicke zu. Wie tickt der Verkäufer von Sofakissen mit Wehrmachtsdekor
wirklich, tief in seinem Innersten, wenn er in der Beschreibung seiner
Nazi-Devotionalien darauf hinweist, dass die Kissen bei 30 Grad waschbar sind?
Gott
aber sieht das Herz an. Kleinanzeigen verraten, welches Herz Menschen haben. Eines,
das oft skurrile Geschmäcker hat. Eines, das abwegige politische Ansichten
supporten kann. Eines, das sich im Laufe des Lebens verändert hat. Aber ebenso
oft auch eines, das an Erinnerungen hängt, das schöne Dinge bewahren will,
dass sich gegen die Wegwerf-Gesellschaft stemmt und Anderen die eigenen
Schätze gönnt.
Ich surfe gerne über die Kleinanzeigen. Manchmal schüttele
ich den Kopf, manchmal lache ich herzhaft und manchmal bin ich gerührt oder
interessiert.
Und manchmal, ganz leise denke ich darüber nach, wie es Gott wohl gehen mag,
wenn er über unsere Herzen surft. Ich glaube, dass er da auch manchmal
schmunzelt. Bestimmt aber immer liebevoll.
Redaktion: Pastorin Sabine
Steinwender-Schnitzius
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