Halyna

Kirche in WDR2 | 28.07.2022 | 00:00 Uhr

Viele sind erstaunt. Ach,

wirklich. Ihr habt eine geflüchtete Frau aufgenommen – aus der Ukraine? Dann

sagen sie, wie toll sie das finden. Und schnell wird klar, dass sie das nicht

machen würden.

Doch die Bewunderung hält

meist nur kurz an. Dann geht es auch schon los. Mit den Geschichten von

anderen. Eine Bekannte kennt eine Frau, die hat eine Frau und ihre drei Kinder

aufgenommen. Ein Verwandter wiederum kennt eine Familie, die hat direkt drei

Generationen aufgenommen. Und dann gibt es natürlich die, die auch noch die

geflüchteten Haustiere mitaufnehmen. Den Hund, die Katze, den Papagei.

Ich höre mir diese

Geschichten an und denke, die verstehen doch gar nichts. Und dann sage ich nur

einen einzigen Satz: Wir sind sehr froh, dass Halyna bei uns ist. Warum, wieso,

weshalb interessiert die meisten nicht.

Halyna ist Tänzerin. Sie ist

im April zusammen mit 16 anderen Tänzerinnen aus der Ukraine gekommen. Auf

Einladung des Tanztheater Pina Bausch. Hier in Wuppertal haben sie seit April fünf

Tage in der Woche Training. Im Moment arbeiten sie an einem Stück über den

Krieg, ihre Flucht, ihr Geflüchtetsein.

„Es geht immer um`s Fühlen“,

sagt Halyna. „Du musst fühlen, was Dich bewegt, um zu tanzen, um andere zu

berühren. Du musst einfach Du selbst sein. Nicht die Erwartungen anderer

erfüllen.“

Stimmt, denke ich. Weiß ich.

Nix Neues für mich. Und doch: Sich immer wieder daran zu erinnern ist wichtig.

Auch im Alltag, im Kleinen. Halyna bringt mir das bei.

Manchmal ist Halyna sehr

müde, obwohl sie genug schläft. Ich sage: Kein Wunder. Du musst diese

Ambivalenz aushalten. Dein Land ist im Krieg und Dir geht es verhältnismäßig

gut. Ja, es ist ja noch viel perverser. Weil Krieg in der Ukraine ist, darfst

Du mit Tänzer:Innen vom Tanztheater Pina Bausch arbeiten. Halyna nickt. Am

liebsten würde sie jetzt ins` Bett. Es ist Mittag.

Halyna träumt von ihrer

Zukunft. Sie will den zeitgenössischen Tanz in der Ukraine etablieren. Sie

fragt berühmte Tänzer und Tänzerinnen, ob sie nach Leviv kommen, um zu

unterrichten.

Manchmal geht sie in

Einrichtungshäuser und richtet ihr Haus ein. Rein gedanklich.

Und sie will, dass wir das

orthodoxe Weihnachten mit ihr in der Ukraine feiern. Am 6. Januar. Danach gehen

wir in den Bergen Skilaufen. So hat sie es geplant.

Ich traue mich nicht zu

sagen, was ich denke. Und sage: Halyna ich bin sehr froh, dass Du bei uns bist.

Und sie sagt: Gott hat mich an der Hand genommen und hierhergeführt. Dann

nehmen wir uns in die Arme.

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58795_WDR220220728Steinwender.mp3

  • 28.7.2022
  • Sabine Steinwender
  • © CCO Pixabay
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