Was bleibt

Kirche in WDR3 | 06.04.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Ich stecke grade mitten im Umzug. In

meinem Leben bin ich schon einige Male umgezogen. Eigentlich mag ich das ganz

gerne. Ich kann ausmisten, Dinge neu sortieren und ordnen. Ich weiß, manche

stresst der Gedanke, noch bevor die erste Umzugskiste aufgebaut ist.

Besonders belastend ist es aber,

wenn man ausmisten muss, weil ein Mensch gestorben ist.

Bei einer Familie aus unserer Gemeinde

war das auch der Fall, als die Oma vor einiger Zeit gestorben ist.

Das, was wirklich schwer für sie

war, war das Wegwerfen, haben sie erzählt.

Immer wieder haben sie gemeinsam

beraten. Soll die Kaffeetasse weg? Immerhin hat sie da jeden Morgen draus

getrunken. Ihre Lieblingstasse – mit ein paar Macken. Noch aus dem Krieg

gerettet. Oder die goldene Armbanduhr.

Die hat sie doch von Opa zur goldenen Hochzeit bekommen und immer an Festtagen

getragen. Es ist gar nicht so einfach, sich von manchen Dingen zu trennen, es

ist schwer, loszulassen. Ein ganzes Leben liegt da vor einem.

Irgendwann, als die Laune so richtig

im Keller ist und die Familie gerademal das Wohnzimmer fertig hat, setzen sie

sich gemeinsam hin und machen Pause.

Kochen Kaffee und essen Brötchen.

Und erinnern sich an die Zeiten, wo sie bei Oma am Kaffeetisch gesessen haben

und verwöhnt wurden.

Oma war der Mittelpunkt ihrer

Familie. Wegen ihr haben sie sich alle hier regelmäßig getroffen.

Wie voll war es, wenn alle an

Weihnachten samt Geschenken und Festtagsessen in diesem Raum zusammen waren –

und wie gemütlich.

Das wird fehlen. Dass das nicht mehr

sein soll, können sie sich nicht vorstellen.

Und doch, sie werden von dem

Gedanken Abschied nehmen müssen an Geburtstagen oder an Weihnachten hier zu

sein.

Das Haus ist längst verkauft.

Und wie sie da so sitzen und ihre

Brötchen essen, sind alle auf einmal ziemlich still geworden.

Vielleicht denken sie an die

gemeinsamen Feste hier

Oder daran, wie sie als Kinder hier

durchgewuselt sind.

Als Oma noch mit Opa hier lebte, und

die beiden alles mit ihren eigenen Händen aufgebaut haben.

Und während sie da so sitzen und

schweigen und sich an Oma erinnern, stellen sie fest, dass das ja alles bleiben

wird.

Sie essen an diesem Tag noch ein

paar Brötchen zusammen und es wird wieder gemütlich am Tisch in Omas

Wohnzimmer.

Sie nehmen sich Zeit – zum Erinnern.

Und mit jeder Geschichte, die sie

sich von früher erzählen, wird es ihnen etwas leichter ums Herz.

Weil sie in ihrem Abschied spüren:

Wir müssen nicht alles loslassen.

Für die Erinnerungen gibt es einen

großen Vorratsraum. Da passt ne Menge rein.

Und von den schönen Erinnerungen

kann man eigentlich nie genug aufheben.

Am besten geht das, wenn man sie

miteinander teilt. Die schönen und die schweren.

Für die Traueranzeige von Oma haben

sie sich einen Spruch aus der Bibel ausgesucht.

„Ich werde bleiben im Hause des

Herrn immerdar.“

Der Spruch liegt bei den Unterlagen,

die Oma für ihre Beerdigung zusammengestellt hat, in dem Ordner, wo auch alle

Papiere vom Haus zu finden waren.

„Sie bleibt“, sagt einer.

„Nicht in diesem Haus, aber sie

bleibt.“

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihren

Abschieden auch wissen, was bleibt.

Ihre Pfarrerin Anne Wellmann aus

Tönisvorst.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/57837_WDR3520220406Wellmann.mp3

  • 6.4.2022
  • Anne Wellmann
  • © CCO Pixabay
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