Das Wichtigste

Kirche in WDR2 | 02.12.2022 | 00:00 Uhr

Wow!

Sprachlos stimme ich ihm zu.

Ich bin Pfarrer in einem

Gefängnis und spreche mit Gefangenen über einen biblischen Text.

Irgendwann frage ich:

«Wie wäre das eigentlich,

wenn Jesus jetzt inhaftiert würde?»

«Wie wäre das, wenn er Ihr

neuer Zellennachbar wäre?»

«Was würde Jesus sagen?»

Kurze Stille. Kurz.

Dann schaut mich einer der

Männer an und sagt:

«Das ist doch ganz einfach

Herr Schnitzius:

Jesus würde gar nichts sagen.

Er würde nur dastehen und mich anschauen. Und mir die Hand auf die Schulter

legen.»

Wow! Danke. Darauf kann ich

nur «Halleluja» antworten.

Für mich hat der junge

Gefangene damit das Wichtigste für den Glauben an Christus gesagt:

Angeschaut zu werden.

Liebevoll. Angesehen zu werden. Und die Hand auf der Schulter zu fühlen. In

Verbindung zu sein, ohne aufzuhören ich zu sein.

In der Gefängnisbibelgruppe

frage ich den jungen Mann dann irgendwann noch:

«Und was ist dann – anders?»

Antwort: «Dann ist alles gut.»

Klar: Jetzt ist nicht alles

anders. Das Gefängnis ist das Gefängnis. Und die Wirklichkeiten auf der Piste,

wie man im Gefängnis eine Abteilung nennt, ist eine andere als die in der

Bibelgruppe.

Nur: Offensichtlich ist die

Wirklichkeit noch viel differenzierter und komplexer, als ich das in meinem

Alltagsbewusstsein für möglich halte.

Offensichtlich spricht mich wesentliche

Glaubenserfahrung von einem Mitmenschen an, der gleichzeitig als Täter, der er

auch war, hinter Mauern sitzt.

«Was ist das Wichtigste hier

im Gefängnis für Sie» frage ich einen anderen jugendlichen Gefangenen.

Der Mann ist Raucher, also –

Sucht ist Sucht, erstmal: Tabak.

Nachdem frage ich weiter:

«Was ist das Wichtigste nicht

Materielle für Sie hier?»

Pause.

Dann sagt er: «Das man mir

vertraut. « Und präzisiert: «Das man mir ermöglicht, Vertrauen zu erarbeiten.»

«Na ja» ergänze ich «das

bekommt man ja erst einmal geschenkt; also das, was man so Vertrauensvorschuss

nennt.«

Damit fängt Gott an.

Wieder und wieder.

Wie sagte der junge Gefangene

zu Jesus als Zellennachbar:

«Er würde nichts sagen, mich

anschauen und mir die Hand auf die Schulter legen.»

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59712_WDR220221202Schnitzius.mp3

  • 2.12.2022
  • Jönk Schnitzius
  • © Mikhail Pasynkov on Unsplash
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