Liebliche Klänge

Sonntagskirche | 15.05.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Lauschen Sie manchmal auf

Schritte?

Ich hör´ das am Schritt,

welches meiner Kinder da gerade in die Küche geht, und mein Hund kennt meine

Schritte, wenn ich nach Hause komme. Er ist schon außer sich vor Freude, ohne

mich überhaupt zu sehen.

Patientinnen und Patienten im

Krankenhaus erzählen mir davon, wie sie auf Schritte lauschen. Holen sie mich

ab zur Untersuchung, zur OP? Kommen sie mit Botschaften, und mit welchen?

Kinder lauschen auf Schritte,

wenn sie abends alleine sind. Sind da womöglich Einbrecher, oder sind’s doch

die Eltern, die nach Hause kommen?

Frauen lauschen, voller

Angst, auf Schritte des Mannes, der nach Hause kommt, der wütend wird, wenn es

nicht so ist, wie er es verlangt, der zuschlägt.

Alles beginnt mit den

Schritten. Mit dem Hinhören. Mit dem Ablauschen dessen, der da kommt.

Und es gibt die

angstmachenden Schritte und die Schritte, die das Herz vor Freude hochspringen

lassen.

Die Bibel erzählt in einem

alten Lied: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da

Frieden verkündigen.“ (Die Bibel, Jesaja 52,7) Ist das ein schöner Satz.

Lieblich ist so ein sanftes

Wort. So altertümlich. Es hat Wärme, es hat Schönheit. Liebliche Schritte, ein

guter Klang, Boten, die vom Frieden erzählen.

Zugleich höre ich: Unsere

Zeit ist mit anderen Klängen und anderen Boten gefüllt. Und ihre Geräusche

sitzen tief.

Die ukrainische Frau, die für

einige Zeit bei mir gewohnt hat, hat eine App für den Fliegeralarm in Kiew auf

ihrem Handy. Während wir am Tisch sitzen und essen, springt der Klang an und

wirft den Krieg auf den Esstisch.

Zwei Tage später, als wir

gerade losgehen wollen zum Einkaufen, geht auf unserer Grundschule im Viertel die

Sirene los. Normal, zwölf Uhr. Ihr fällt alles aus der Hand. Ich sehe im

Bruchteil der Sekunde alles in ihrem Gesicht, die Angst, die Flucht, den namenlosen

Schrecken, den Impuls, alles loszulassen und in den Keller zu rennen.

Nicht lieblich klingende

Boten des Friedens, sondern der Klang des Krieges – er ängstigt

Kriegsüberlebende aller Zeiten. Ich erinnere mich an meine Grundschullehrerin,

sie hasste die Sirene auf unserem Schuldach.

Alles in mir und alles in

unserer Welt sehnt sich nach den lieblichen Klängen der nahenden Friedensboten.

Sie kommen mit Schritten, die vom Guten künden.

Ich schaue auf meine

Schritte. Und ich geh los, zur Arbeit, zum Einkaufen, ich geh mit dem Hund, ich

geh zum Essen und ins Bett.

Ich höre das alte Lied und

ich höre die schlimmen Klänge und weiß: Es lohnt sich, jeden einzelnen Schritt

möglichst lieblich zu setzen. Möglichst schönen Klang in die Welt zu geben.

Meine Schritte sollten

lieblich sein. Den Klang des Heils erzeugen, Töne gegen den Lärm von Sirenen

und Angstgeschrei, von Bomben und zerberstenden Häusern, und das ist nicht erst

seit dem 24. Februar so.

Ich sehe so viele liebliche

Füße auf dem Weg zum Kerzenständer in der Kirche, um ein Licht zu entzünden.

Liebliche Füße des Flüchtlingshelfers, der mitten im Getümmel im Rathaus noch

den Überblick für die Familien behält. Liebliche Füße der Lehrerin, die den

Google-Translator rauszieht, weil das neue Mädchen nur ukrainisch und russisch versteht.

Meine lieblichen Füße, weil ich rasch loslaufe, als ich die Sirene höre, um

möglichst schnell zu erklären, dass kein Grund zur Angst besteht.

Lasst uns Friedensboten sein.

Und am Klang unserer Schritte möge man uns erkennen.

Ich wünsche Ihnen einen

gesegneten Sonntag.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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  • 15.5.2022
  • Anke Prumbaum
  • © CCO Pixabay
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