Endlich leben

Kirche in WDR2 | 11.07.2022 | 00:00 Uhr

Endlich Urlaub! Was hab` ich mich darauf gefreut in diesem

Jahr! Der erste Blick auf`s Meer, die Nachmittage am Strand mit einem guten

Buch, die sich anfühlen, als ob sie nie vergehen. Tun sie aber. Endlich Urlaub?

Genau! Dass das Schöne endlich ist, steckt schon in diesem kleinen Wort. Also

genieße ich diese Momente umso mehr.

Es ist tatsächlich ein bisschen wie in der Werbung: Das

Schöne ist begrenzt. Es gibt nicht immer noch mehr. „Nur noch zwei Zimmer in

dieser Kategorie!“ „Das letzte in Ihrer Größe!“ Die Werbung weiß, wie sie uns

kriegt. Und das ausnahmsweise mal mit Recht! Manchmal wundere ich mich, dass

manche so tun, als ob das Leben immer so weiter geht. Als ob das schon klar

ist: Nächstes Jahr geht’s wieder an die Ostsee oder nach Italien. Dieser Tag am

Strand wird nicht der letzte gewesen sein. Wir stehen doch mitten im Leben! Aber

wer weiß das schon? Ich gehe lieber davon aus, dass das Leben begrenzt ist.

Schon Jesus sagt das in seiner großen Rede, der Bergpredigt: Ihr könnt eurem

Leben nicht einen Tag hinzufügen, wie sehr ihr euch auch sorgt. Stimmt. Ich

kann die schönen Momente nicht festhalten oder verlängern. Sie vergehen.

Zum Glück gilt das auch für das Schwere. Im April habe ich

meinen Vater besucht, als er immer schwächer geworden ist. 89 Jahre alt,

dement, seit ein paar Wochen fest im Pflegebett. Er erkennt mich, wir können

immer wieder ein paar Worte wechseln. Er macht seine Sprüche wie früher, wir

lachen. Es sind kostbare Momente für mich und wahrscheinlich auch für ihn. Abends

darf ich bei der Pflege helfen. Alles Körperliche ist für ihn beschwerlich

geworden, oft schmerzhaft. Später lese ich ihm ein paar Verse eines alten

Kirchenliedes vor, das er gemocht hat. Ein Segen zur Nacht. Drei Wochen später,

Anfang Mai, darf er endlich sterben. Ich denke: Wie gut. Auch das Schwere ist

endlich. Das tröstet mich.

In der Bibel heißt es: „Alles hat seine Zeit. Geboren werden hat seine Zeit,

sterben hat seine Zeit. Weinen hat seine Zeit und lachen hat seine Zeit. Schweigen

hat seine Zeit und reden hat seine Zeit, Streit hat seine Zeit und Friede hat

seine Zeit.“ (Prediger 3, 1 ff)

Das Schöne ist endlich und das Schwere auch. Jetzt und hier ist das Leben, das

mir geschenkt ist. Heute will ich etwas genießen und etwas Sinnvolles tun. Und

Gott danken, dass er mir dieses Leben schenkt. Wenn das alles zusammenkommt,

dann lebe ich – endlich.

Redaktion: Pastorin

Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58556_WDR220220711Reinmuth.mp3

  • 11.7.2022
  • Titus Reinmuth
  • © CCO Pixabay
Downloads