Guten
Morgen!
„So
oder so. Jeder von uns wird neue Träume haben.“ (1)
Der
Nullpunkt. Das ist die Frontlinie.
Im
Krieg ein Ort, an dem will niemand sein.
Denn
es ist der Ort, an dem wir uns gegenüberstehen. Mit Waffen.
Und
wer zuerst schießt. Wer trifft. Überlebt.
Der
Nullpunkt ist auch ein Buch von Artem Tschech.
Artem
Tschech wird nach der Annexion der Krim in die ukrainische Armee eingezogen
und
an die Front geschickt. Das ist 2014.
Ein
Jahr später beginnt er zu schreiben.
Über
alltägliches. Über Ängste. Über Hoffnungen. Über Krieg.
„So
oder so. Jeder von uns wird neue Träume haben.“
Das
ist der vielleicht traurigste und gleichzeitig
der
vielleicht hoffnungsvollste Satz am Nullpunkt.
Einer
wird weiterleben – und neue Träume haben.
Mich
erinnert das an die Geschichte von Jakob.
Eines
Nachts träumt Jakob.
Jakob
träumt vom offenen Himmel.
Von
einer Leiter, die an den Himmel angelehnt scheint.
Von
Engeln, die hinauf gehen in den Himmel.
Und
von Engeln, die herab steigen auf den kaputten, staub-überzogen Boden.
Auf
einen Boden, der getränkt ist mit Blut.
Auf
einen Boden, auf den leere Patronenhülsen auf der einen Seite fallen,
Verletzte
und Tote auf der anderen Seite.
Auf
einen Boden getränkt mit Tränen.
Der
Boden auf dem Jakob liegt und schläft
ist
kalt und hart. Sein Traum aber
voller
Hoffnung.
Sprecher: „Plötzlich steht Gott, der Herr, vor ihm und sagt: ‚Ich bin der Herr,
der Gott deines Vaters Abraham … Siehe, ich bin bei dir und behüte
dich überall, wohin du auch gehst. Ich bringe dich zurück in dieses Land. Ich
werde dich nicht verlassen, bis ich vollbringe, was ich dir verheißen habe.‘“ (2)
Jakob
ist weggelaufen.
Er
hat die, die er liebt betrogen und belogen.
Jetzt
schläft er unter dem Sternenhimmel in der Wüste.
Engel
nehmen seine schweren Gedanken mit in den Himmel und bringen was zurück:
Hoffnung. Jakob sieht das. Und beim Aufwachen erscheint Jakob plötzlich alles
ganz leicht.
„So
oder so. Jeder von uns wird neue Träume haben.“,
schreibt
Artem Tschech.
Artem
Tschech steht am Nullpunkt. An der Front.
Er
sieht, was Waffen anrichten. Aber der Krieg geht weiter.
In
der Ukraine, in Äthiopien, im Jemen – an so vielen Orten dieser Welt.
Träume,
die klar sehen lassen, sind selten
und
viele haben keine Hoffnung mehr.
1841
schreibt Sarah Flower Adams den Text „Näher mein Gott zu Dir“.
Sie
beschreibt eine Hoffnung.
Die
Hoffnung, dass selbst der kälteste Winter,
dass
selbst das eisigste Herz leuchten kann.
Musik: Nearer my
God to Thee (3)
„Drückt
mich auch Kummer hier, drohet man mir, …
näher,
mein Gott, zu dir, näher zu dir!“,
schreibt
sie und dass da noch was kommt.
Dass
da noch einer an uns denkt;
besonders
an die Sterbenden,
die
Frierenden, die Verfolgten.
All
ihre Leben tragen die Engel aus der Jakobsgeschichte in den Himmel.
Und
was tragen sie aus dem Himmel in unsere sehr kaputten Leben?
Hoffnung
auf Gottesnähe.
Einfach
Hoffnung.
(Ende
WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Ihre
Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel aus Odenthal.
Anmerkungen:
(1)
Artem Tschech, Am Nullpunkt, erschienen bei: Arco. Übersetzt aus dem
Ukrainischen 2022.
(2)
nach Genesis 28.
(3) Nearer
my God to Thee, Album: Midnight Mass, Track 9, Interpret:in: The Newton
Brothers, geschrieben von: Public Domain, Produzenten: John Andrew Grush,
Taylor Newton Stewart, Quelle: Maisie Music Publishing, LLC.
Redaktion: Landespfarrerin
Petra Schulze