Bloß nicht jammern

Kirche in WDR2 | 15.11.2022 | 00:00 Uhr

Neulich

saßen wir zusammen auf einer Bank am Rhein. Blick auf den Fluss, die Sonne im

Gesicht. Wie der alte Mann heißt, weiß ich nicht; ich kenne ihm vom Sehen.

„Das ist die Aaltje“, sagt er und winkt einem vorbeifahrenden Schiff zu. Er

kenne den Skipper von früher.

Der

Mann auf der Brücke winkt zurück, das Signalhorn des Schiffes schickt einen

kurzen Gruß.

„Der

fährt immer noch Kohle. Sechs Tage den Rhein rauf, drei Tage leer wieder

runter. Und dann von neuem – immer unterwegs.

„Aaltje“

sage ich. „Komischer Name.“

„Das

bedeutet „die Edle“ auf Niederländisch. Sie könnten auch „Adelheid“ sagen. Aber

ist eh nichts mehr, wie es mal war…“.

„Ist

es nicht?“, frage ich.

„Nee.

Da ist was dazwischengekommen – irgendwo vor Köln. Und jetzt tuckert der Kerl

mit Nelina den Rhein rauf und runter. Ich verstehe die Geschichte nicht – ich

denke Adelheid fährt jetzt auf der Maas?

„Und

was ist mit Adelheid passiert?“, frage ich.

„Adelheid

fährt jetzt bei Robin auf der „Laura“. Hat nach Belgien geheiratet und hat

Vater Rhein gegen die Maas getauscht.“

„Woher

wissen Sie das alles?“ frage ich meinen unverhofften Gesprächspartner.

„Was

für eine Frage. Ich bin jeden Tag hier. Oben am Kiosk gibt’s immer die neuesten

Schiffergeschichten. Die kennen alle, die hier vorbei skippern. Eingeschworene

Gemeinschaft.“

Aus

seiner Manteltasche zieht er ein Flasche Lambrusco.

„Zwei-neunundneunzig

, oben am Kiosk“, sagt er.

„Billig,

aber gut. Willste ’nen Schluck? Trink ruhig – ist vom Pfarrer!“

„Vom

Pfarrer?“ ich bin geplättet.

„Kleiner

Tipp unter Freunden“, sagt er, senkt die Stimme und rutscht ein bisschen näher

an mich heran.

„Also

– über die Brücke, drüben bei St. Agnes, da kriegst du nichts, in Bonhoeffer-Tersteegen

erst recht nicht. Total tote Hose. Trinitatis kannst `e vergessen, lohnt nicht.

Du

musst in Bahnhofsnähe bleiben.

Blumenstraße.

Johanneskirche. Das ist deine Anlaufstelle.

Aber

bloß nicht jammern. Das törnt die echt ab.

Mach

eher einen auf Kumpel, bleib cool, sei witzig.

Dann

drückt der dir auch mal Geld in die Hand. Sonst auf jeden Fall Essensgutscheine.

Die kann man auch tauschen -aber bestenfalls nur eins zu zwei.

Willste

nicht doch ’nen Schluck?“

„Nein“,

sage ich. „Danke, aber ich muss noch fahren. Und ich muss dann auch mal.“

„Reisende

kann man nicht aufhalten“, sagt er.

„Man

sieht sich“, sage ich.

„Sagst

Du“, sagt er.

„Den

Schalk im Nacken und das Herz auf der Zunge“, denke ich im Weggehen und muss

lächeln.

Später

fällt mir ein Wort ein, dass der Wanderprediger Jesus aus Nazareth seinen

Freunden mal ans Herz gelegt hat.

„Seid

klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ (Mt 10,16).

Wer

weiß, vielleicht schaue ich auch mal an der Blumenstraße vorbei. Johanneskirche.

Aber

bloß nicht jammern…

Quelle:

Gerhard Engelsberger, Wunderwege. Gütersloher

Verlagshaus, 1. Auflage 2015, S. 25-26; ISBN 978-3-579-07426-9

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59608_WDR220221115Koehler.mp3

  • 15.11.2022
  • Matthias Köhler
  • © CCO Pixabay
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