Neulich
saßen wir zusammen auf einer Bank am Rhein. Blick auf den Fluss, die Sonne im
Gesicht. Wie der alte Mann heißt, weiß ich nicht; ich kenne ihm vom Sehen.
„Das ist die Aaltje“, sagt er und winkt einem vorbeifahrenden Schiff zu. Er
kenne den Skipper von früher.
Der
Mann auf der Brücke winkt zurück, das Signalhorn des Schiffes schickt einen
kurzen Gruß.
„Der
fährt immer noch Kohle. Sechs Tage den Rhein rauf, drei Tage leer wieder
runter. Und dann von neuem – immer unterwegs.
„Aaltje“
sage ich. „Komischer Name.“
„Das
bedeutet „die Edle“ auf Niederländisch. Sie könnten auch „Adelheid“ sagen. Aber
ist eh nichts mehr, wie es mal war…“.
„Ist
es nicht?“, frage ich.
„Nee.
Da ist was dazwischengekommen – irgendwo vor Köln. Und jetzt tuckert der Kerl
mit Nelina den Rhein rauf und runter. Ich verstehe die Geschichte nicht – ich
denke Adelheid fährt jetzt auf der Maas?
„Und
was ist mit Adelheid passiert?“, frage ich.
„Adelheid
fährt jetzt bei Robin auf der „Laura“. Hat nach Belgien geheiratet und hat
Vater Rhein gegen die Maas getauscht.“
„Woher
wissen Sie das alles?“ frage ich meinen unverhofften Gesprächspartner.
„Was
für eine Frage. Ich bin jeden Tag hier. Oben am Kiosk gibt’s immer die neuesten
Schiffergeschichten. Die kennen alle, die hier vorbei skippern. Eingeschworene
Gemeinschaft.“
Aus
seiner Manteltasche zieht er ein Flasche Lambrusco.
„Zwei-neunundneunzig
, oben am Kiosk“, sagt er.
„Billig,
aber gut. Willste ’nen Schluck? Trink ruhig – ist vom Pfarrer!“
„Vom
Pfarrer?“ ich bin geplättet.
„Kleiner
Tipp unter Freunden“, sagt er, senkt die Stimme und rutscht ein bisschen näher
an mich heran.
„Also
– über die Brücke, drüben bei St. Agnes, da kriegst du nichts, in Bonhoeffer-Tersteegen
erst recht nicht. Total tote Hose. Trinitatis kannst `e vergessen, lohnt nicht.
Du
musst in Bahnhofsnähe bleiben.
Blumenstraße.
Johanneskirche. Das ist deine Anlaufstelle.
Aber
bloß nicht jammern. Das törnt die echt ab.
Mach
eher einen auf Kumpel, bleib cool, sei witzig.
Dann
drückt der dir auch mal Geld in die Hand. Sonst auf jeden Fall Essensgutscheine.
Die kann man auch tauschen -aber bestenfalls nur eins zu zwei.
Willste
nicht doch ’nen Schluck?“
„Nein“,
sage ich. „Danke, aber ich muss noch fahren. Und ich muss dann auch mal.“
„Reisende
kann man nicht aufhalten“, sagt er.
„Man
sieht sich“, sage ich.
„Sagst
Du“, sagt er.
„Den
Schalk im Nacken und das Herz auf der Zunge“, denke ich im Weggehen und muss
lächeln.
Später
fällt mir ein Wort ein, dass der Wanderprediger Jesus aus Nazareth seinen
Freunden mal ans Herz gelegt hat.
„Seid
klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ (Mt 10,16).
Wer
weiß, vielleicht schaue ich auch mal an der Blumenstraße vorbei. Johanneskirche.
Aber
bloß nicht jammern…
Quelle:
Gerhard Engelsberger, Wunderwege. Gütersloher
Verlagshaus, 1. Auflage 2015, S. 25-26; ISBN 978-3-579-07426-9
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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