Fragen

Kirche in WDR2 | 30.06.2022 | 00:00 Uhr

Mein

Gott, wie bin hier bloß ‘reingeraten? Wie konnte das alles nur passieren?

Ich

wollte gar nicht in diesen blöden Wald. Ich wollte überhaupt nicht in diese

Gegend. Wo ich noch nie gewesen bin. Aber jetzt liege ich hier und diese Wunde

tut echt heftig weh! Ich hoffe, es kommt bald jemand vorbei und hilft mir. Von

mir aus auch einer von den anderen, ist mir völlig egal!

Wenn

bloß dieser beknackte Krieg nicht wäre! Ich könnte jetzt ganz normal bei der

Arbeit sein. Um diese Uhrzeit geht die Frühschicht los – jetzt wär‘ ich schon

auf dem Werksgelände. Würd‘ die Kumpels treffen und dann ran an die Maschinen.

Und abends wär‘ ich wieder zu Hause. Mein Gott, zu Hause! Ob ich da je wieder

hinkomme? Zu meiner Familie, meinen Kindern, unseren Nachbarn in der Straße?

Ich weiß echt nicht, ob ich das hier packe.

Mein

Gott, ich hab‘ lange nicht gebetet. Fällt mir grad‘ so auf. Aber ich hab‘ sonst

keinen zum Reden hier! Sind alle weg. Und deshalb sag‘ du mir, Gott: Was soll

das alles hier? Was soll das ganze Schießen und Bombardieren und Töten und

Vernichten? Warum hast du das nicht verhindert? Warum hast du nicht dafür

gesorgt, dass es gar nicht so weit kommt?

Oder

meinst du, wir hätten es verhindern sollen? Hätten Verantwortung übernehmen

müssen. Unsere Möglichkeiten ausschöpfen. Wir in unserem Land und die Anderen

in ihrem. Ich mein‘, klar, ich bin immer brav wählen gegangen. Aber ansonsten

hab‘ mich um meine Arbeit und meine Familie gekümmert. Ich hab‘ gedacht, das

wär‘ genug, der Rest würd‘ sich schon irgendwie ergeben. Aber vielleicht war

das zu kurz gedacht. Denn jetzt lieg‘ ich hier in diesem Drecks-Wald und merke:

Das ist ganz großer Mist, der sich da ergeben hat! Richtig übel und ich bin

mittendrin.

Und deswegen

frag‘ ich dich, Gott: Hättest du nicht wenigstens verhindern können, dass mich

diese Kugel trifft? Hättest du sie nicht an mir vorbeisausen lassen können wie

alle anderen vorher auch? Damit ich hier nicht liegen muss mit meiner ganzen

Angst und diesen höllischen Schmerzen?

Mein

Gott, ich hab‘ echt keine Ahnung, ob es Sinn macht, dir diese Fragen zu

stellen. Aber

ich

merke auf einmal, wie mir das gut tut. Dass du mich hörst. Dass ich dich fragen

kann. Immer weiter. Dass du da bist. Dich meinem Schicksal aussetzt. Das hilft

mir. Gibt mir Kraft zum Durchhalten. Und Hoffnung. Die kann ich grad wirklich

gut gebrauchen.

Ehrlich, Gott, gut, dass du da bist. Denn wenn du

sogar hier bist, in diesem Wald, in diesem Krieg, dann bist du tatsächlich

überall. An jedem Ort, egal, wie schrecklich er ist. Dann bist du bei jedem

Menschen, auch wenn er allein ist oder verzweifelt. Sogar wenn er stirbt. Dann

lässt du niemanden allein, Gott. Wirklich niemanden.

Redaktion: Pastorin

Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58554_WDR220220630Vogt.mp3

  • 30.6.2022
  • Martin Vogt
  • (Foto: Pixabay)
Downloads