Buchstaben des Lebens

Kirche in WDR3 | 18.05.2022 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen,

ich

gehe durch die Fußgängerzone. Viele Leute sind dort wieder unterwegs. Da kommt

mir einer entgegen und sagt: Guten Morgen Herr Neumann! Ich entgegne: Hallo!

Guten Morgen! Wir lächeln uns an und schon trennen sich unsre Wege. Das war

doch der? Wie heißt der noch mal? Den kenne ich doch von… Denke ich. Und mir

will einfach der Name nicht einfallen. Manchmal hilft es mir in solchen

Situationen, das Alphabet in Gedanken durchzugehen – bis mir der

Anfangsbuchstabe hilft, auf den Namen des Bekannten zu kommen.

Ein

Ort, über den ich auch immer wieder einmal gehe, ist der Friedhof. Es gibt wohl

kaum einen Ort, an dem so viele Namen zu finden sind, wie ein Friedhof. Auf

kleinen und großen Grabsteinen. Namen von Bekannten und Unbekannten. Großen und

kleinen Leuten. Ein Grabstein hat mich einmal besonders angesprochen: Da sieht man

in der Mitte des Steins zwei Engel, die sich an einem Haufen von Buchstaben zu

schaffen machen. Das sieht so aus, als würden sie Scrabble spielen, dieses

Buchstabenspiel, bei dem man aus einzelnen Buchstaben Wörter bilden muss. Diese

Engel suchen auch nach einem Namen. Den Namen dessen, der da beerdigt liegt. Die

beiden Himmelsboten gehen wohl auch das Alphabet durch. Denn der erste

Buchstabe des Namens ist schon aufgestellt.

Mit

diesem besonderen Grabstein will wohl einer sagen: ‚Auch, wenn ihr

Friedhofsbesucher meinen Namen nicht mehr kennt, weil er unleserlich geworden

ist: Es gibt einen Ort, wo er wieder zusammengesetzt wird. Gott selbst sorgt

dafür, dass ich kein Namenloser bleibe‘.

Es

gibt ja in der Tat auch so viele Namenlose auf den Friedhöfen. Immer mehr

Menschen werden anonym beerdigt. Da ist kein Grabstein, auf dem ein Name oder

Geburts- und Todesdatum steht. Und auch kein kleines Schild wie bei den

halbanonymen Gräbern, bei denen die Toten auf einer bestimmten Rasenfläche

bestattet werden. Und an einer Steele oder einem Baum oder auf der Erde findet

sich eine Tafel mit ihren Namen. Immer mehr Menschen finden auf dem Friedhof

ihre letzte Stätte, ohne dass ihr Name sichtbar ist.

Und

dann gibt es die vielen Namenlosen in den Massengräbern, wie wir sie aus den

Bildern über die zerbombten Städte der Ukraine kennen. Oder von manchen

Kriegsgräbern. Der Tod macht uns hier auf dieser Erde oft zu Namenlosen. Als

Christ glaube ich jedoch, dass mein Name und meine Identität bei Gott

aufgehoben sind. Deshalb hat Jesus zu seinen Leuten gesagt: (Lukas 10,20, Die

Bibel, Luther 2017) „Freut euch, dass

eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind“. Es gibt einen hoffnungsvollen

Ort, wo niemand namenlos ist. Eine Stadt, in der die Namen ihrer Bürgerinnen

und Bürger bekannt sind.

Gott

vergisst unsere Namen nicht.

Ihr Pastor Christoph

Neumann aus Iserlohn.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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  • 18.5.2022
  • Christoph Neumann
  • © Lehmann
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