Als
wir Kinder waren, hat meine Mutter viel für meine Schwester und mich gesungen.
Eines unserer Lieblingslieder war „Here’s to you“ von Joan Baez. Dass es ein
politischer Song, ein Protestsong ist, das ist mir erst später klar geworden. Wenn
ich den Song heute höre, habe ich immer noch die Stimme meiner Mutter im Ohr
und das Gefühl im Herzen: Für etwas einzustehen, ist ne richtig gute Idee.
„Here’s
to you“ handelt von zwei Anarchisten in den Vereinigten Staaten der 20er Jahre.
Joan
Baez hat mit dem Song für Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti ein Denkmal
gesetzt. Die beiden sind 1927 hingerichtet worden. Ihnen war ein Raubmord zur
Last gelegt worden. Wahrscheinlicher ist aber, dass man sie auch auf Grund
ihrer politischen Haltung und wegen ihrer Herkunft aus Italien aus dem Weg
haben wollte. Prohibition, Zuwanderung, Korruption, Gewalt … die gängigen
Vorurteile eben. Im Song heißt es „Der letzte Moment gehört uns.“ Worte aus
einem Brief von Bartolomeo Vanzetti, die Joan Baez zitiert. Worte, die mir seit
Kindertagen nicht aus dem Kopf gehen. „Der letzte Moment gehört uns.“
Es
gibt noch einen, der von dem einen letzten Moment spricht, in dem Politik und
Herkunft, Hautfarbe und all das keine Rolle mehr spielen. Und dieser eine, das
ist Gott. Der letzte Moment – der letzte Moment mit uns – gehört ihm.
Das ist ein wirklich
anarchistischer Gedanke. Denn das bedeutet, dass jeder und jede, gleich welcher
Religion und Hautfarbe buchstäblich im letzten Moment zu Gott und damit in den
Himmel kommen kann, an den ich glaube.
Hat Joan Baez natürlich alles
nicht mitgedacht und Nicola und Bart – von denen sie singt – sicher auch nicht.
Sie sind für ihre Prinzipien und für ihre Taten hingerichtet worden. In den
70er Jahren ist „Here’s to you“ zur Hymne der Friedensbewegung geworden. Aber
friedlich war auch die Friedensbewegung nicht immer. Im Gegenteil. Was aber
alle eint, ist der Gedanke der Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Das war
in den 20ern pure Anarchie, in den 70ern auch noch irgendwie und heute?
Von „alle gleich“, vor allem
„alle gleich geliebt“ sind wir immer noch weit weg. Es gibt mehr Krieg und
Unheil als Frieden in unserer Welt. Aber eines tröstet mich: „Der letzte Moment
gehört uns.“ Uns und Gott. Dann ist endlich Frieden. Mit allen. Und überall.
Ich glaub‘ das. Wirklich.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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