Joan Baez

Kirche in WDR2 | 09.01.2023 | 00:00 Uhr

Als

wir Kinder waren, hat meine Mutter viel für meine Schwester und mich gesungen.

Eines unserer Lieblingslieder war „Here’s to you“ von Joan Baez. Dass es ein

politischer Song, ein Protestsong ist, das ist mir erst später klar geworden. Wenn

ich den Song heute höre, habe ich immer noch die Stimme meiner Mutter im Ohr

und das Gefühl im Herzen: Für etwas einzustehen, ist ne richtig gute Idee.

„Here’s

to you“ handelt von zwei Anarchisten in den Vereinigten Staaten der 20er Jahre.

Joan

Baez hat mit dem Song für Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti ein Denkmal

gesetzt. Die beiden sind 1927 hingerichtet worden. Ihnen war ein Raubmord zur

Last gelegt worden. Wahrscheinlicher ist aber, dass man sie auch auf Grund

ihrer politischen Haltung und wegen ihrer Herkunft aus Italien aus dem Weg

haben wollte. Prohibition, Zuwanderung, Korruption, Gewalt … die gängigen

Vorurteile eben. Im Song heißt es „Der letzte Moment gehört uns.“ Worte aus

einem Brief von Bartolomeo Vanzetti, die Joan Baez zitiert. Worte, die mir seit

Kindertagen nicht aus dem Kopf gehen. „Der letzte Moment gehört uns.“

Es

gibt noch einen, der von dem einen letzten Moment spricht, in dem Politik und

Herkunft, Hautfarbe und all das keine Rolle mehr spielen. Und dieser eine, das

ist Gott. Der letzte Moment – der letzte Moment mit uns – gehört ihm.

Das ist ein wirklich

anarchistischer Gedanke. Denn das bedeutet, dass jeder und jede, gleich welcher

Religion und Hautfarbe buchstäblich im letzten Moment zu Gott und damit in den

Himmel kommen kann, an den ich glaube.

Hat Joan Baez natürlich alles

nicht mitgedacht und Nicola und Bart – von denen sie singt – sicher auch nicht.

Sie sind für ihre Prinzipien und für ihre Taten hingerichtet worden. In den

70er Jahren ist „Here’s to you“ zur Hymne der Friedensbewegung geworden. Aber

friedlich war auch die Friedensbewegung nicht immer. Im Gegenteil. Was aber

alle eint, ist der Gedanke der Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Das war

in den 20ern pure Anarchie, in den 70ern auch noch irgendwie und heute?

Von „alle gleich“, vor allem

„alle gleich geliebt“ sind wir immer noch weit weg. Es gibt mehr Krieg und

Unheil als Frieden in unserer Welt. Aber eines tröstet mich: „Der letzte Moment

gehört uns.“ Uns und Gott. Dann ist endlich Frieden. Mit allen. Und überall.

Ich glaub‘ das. Wirklich.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 9.1.2023
  • Julia-Rebecca Riedel
  • © CCO Pixabay
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