Für dich, Mutti!

Sonntagskirche | 08.05.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Meine Mutter hat alles geliebt, was blau war. Und deshalb hab ich auf

ihr Grab einen Kranz gelegt, den man selbst bepflanzen kann. Hineingepflanzt

habe ich lauter blaue Blumen. Blaue Anemonen, blaue Primeln, blaue

Tulpenhyazinthen, blaue Vergissmeinnicht.

Und was ist passiert? Die Kaninchen haben ihn abgefressen. Die Mistviecher

haben die Blüten, die Blätter, alles ratzekahl weggefressen, wie mit der

Nagelschere abgeschnitten. Ich hab´ geflucht, und dann hab´ ich genauer

hingesehen und gemerkt: Stopp, da ist noch etwas stehengeblieben. Sie haben

alles gefressen, aber nicht das Vergissmeinnicht! Das ist stehen geblieben. Und

blüht klein und blau weiter auf dem Grab.

Ich muss immer lächeln, wenn ich daran denke.

Auch heute. Heute ist Muttertag. Der erste in meinem Leben ohne meine

Mutter.

Muttertag war bei uns immer wichtig – und dann auch wieder nicht. Meine

Mutter lästerte gerne über diesen Tag, über das verordnete Nettsein und

Schenken und meinte, es solle doch jeder Tag Muttertag sein. Aber wehe, wir hatten

vergessen, etwas Besonderes vorzubereiten. Das war dann auch nicht in Ordnung. Wenn

ich mich recht erinnere, war ganz schön oft Stress am Muttertag bei uns.

Ich schau auf das Vergissmeinnicht.

Als sie starb, habe ich schlagartig gespürt: Wenn die Mutter stirbt, ist

ein Mensch nicht mehr da, der immer da war.

Und egal wie es war mit der Mutter, ob es leicht oder kompliziert, egal

wie eng das Verhältnis war, wie gut die Gespräche funktionierten, die Mutter ist

der Mensch, der uns in seinem Leib getragen hat. Eine unglaublich große Nähe,

mindestens körperlich. Sehr oft auch seelisch.

Ich stehe vor dem Grab meiner Mutter und schaue auf die abgefressenen Blumen

im Kranz.

Ich denke über unsere Nähe nach – die war wechselhaft. Ich denke über

unsere Konflikte nach – die hat es gegeben, oh ja. Ich denke über unsere Liebe

nach – sie hat uns verbunden, trotz und in allem.

Es ist so wie mit diesem Kranz, den ich bepflanzt habe. Manches konnte

nicht gedeihen. Es gab Ansätze, aber wuchs nicht, wurde aufgefressen, von

Missverständnissen und Verletzungen. Manches war da, aber hatte keinen Bestand,

ging ein und verschwand, durch räumlichen Abstand, durch zu wenig Zeit

miteinander.

Anderes aber, und durchaus unerwartet, hat alles überdauert und blüht. Hat

seine Kraft von ich-weiß-nicht-woher gezogen und hat überdauert. Wie das blaue

Vergissmeinnicht.

Es ist schön, wenn Trauer so sein kann. Ehrlich und dankbar. Sie kann erinnern, wie es war, ungeschönt. Aber mit

kleinen blühenden Momenten, die überdauern. Eigentlich ist es dann auch nicht

so wichtig, ob das andere in voller Blüte steht.

Mich hat das Vergissmeinnicht auf dem Grab meiner Mutter überrascht. So

wie ich mich selbst überrascht habe mit meiner Liebe. Wie stark und schön sie

noch blüht. Über den Tod hinaus. Und mitten in der Trauer.

Muttertag ist Vergissmeinnichttag.

Ab diesem Jahr feier´ ich den Muttertag im Erinnern.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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  • 8.5.2022
  • Anke Prumbaum
  • © CCO Pixabay
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