Guten Morgen.
Sie kommen beide im Himmel an: ein
Priester und ein Busfahrer mit riskantem Fahrstil, der bei einem
selbstverschuldeten Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Der Priester erhält
als Willkommensgeschenk eine Bibel. Doch ansonsten beachtet man ihn nicht
weiter. Den Busfahrer hingegen begrüßen die himmlischen Heerscharen mit Harfen
und Trompeten. Sie rollen extra für ihn einen roten Teppich aus. Und streuen
unzählige wohlriechende Blütenblätter vor ihm auf den Weg. Und alle singen und
bejubeln ihn. Neidisch fragt der Priester: „Warum wird dieser Busfahrer so
würdevoll begrüßt? Und mich beachtet keiner?“ Die Antwort: „Bei deinen
Predigten sind die Leute eingeschlafen, aber bei seinen Fahrten haben sie alle
gebetet.“
Ich mag diesen Witz. Beten ist wichtig.
Nicht nur in der Not, wenn der Busfahrer eine Kurve zu riskant nimmt. Beten ist
für mich wie eine Muttersprache. Sonntags bete ich gerne in Gemeinschaft mit
anderen Christinnen und Christen, die ihre Beziehung zu Gott mit mir teilen und
mit mir feiern. Sonntags-Gottesdienst feiern. Beim Beten nehmen wir zu Gott
Kontakt auf. Im Beten denke ich über mich selbst hinaus. Da gibt es freie
Gebete, die ich selbst formuliere. Und die, die ich mit anderen bete und bei
denen ich begreife, was die Liebe, die Hoffnung und der Glaube für mich
bedeuten. Ich stelle mir Gott als persönliches Gegenüber vor. Der meine
Gedanken und Worte aufnimmt. Ich stelle mir vor, dass er hört, was mich bewegt.
Ob es Freude ist oder Dankbarkeit und Glück oder Traurigkeit, Verzweiflung und
Resignation. Ich darf zu ihm sprechen, wie mit einem Freund. So begleitet er
mich täglich, wenn ich bete. Mein Tag beginnt nicht nur am Sonntag mit einem
Gebet, sondern jeden Tag. Und oft erlebe ich, dass Gott mir etwas Besonderes
schenkt – mitten im Alltag. Zum Beispiel den Blick für die Menschen, denen ich
vertrauen und denen ich mich anvertrauen kann. Und ebenso wie einem Freund darf
ich Gott auch meine Enttäuschung, meine Zweifel und mein Entsetzen mitteilen.
Alles, was ich nicht begreife, was mich fassungslos macht und wo ich nur
hilflos daneben stehe. Ja, und natürlich, manchmal lehrt Not beten, zum
Beispiel wenn der Busfahrer die Kurve zu riskant nimmt. Oder in anderen
Alltagssituationen. Aber auch in den großen Katastrophen und Ereignissen
unserer Zeit. Ich möchte jedoch keinen Gott als bloße Not-Lösung, sozusagen als
religiöse Notbremse. Spannend ist für mich beim Beten aus der Not heraus: Ich
gestehe vor Gott ein, dass ich schwach bin. Dass ich auf Hilfe angewiesen bin.
Auf seine Hilfe. So ist für mich der Notfall auch ein Anstoß, mich täglich Gott
zu öffnen. Täglich den Kontakt zu ihm zu suchen. Sonst könnte ich vieles, was
mir sinnlos erscheint, überhaupt nicht aushalten können. Beten heißt aber nicht
einfach alles erdulden. Ich bitte Gott auch täglich um die not-wendige Kraft,
das zu tun, was mir möglich und mir richtig erscheint. So orientiere ich mich
seit vielen Jahren immer wieder an dem wunderbaren Gebet:
„Gott schenke mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich
ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. (1)
Quelle
(1) Joachim Schäfer: Artikel Friedrich Christoph Oetinger, aus dem Ökumenischen Heiligenlexikon –
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienF/Friedrich_Christoph_Oetinger.html (abgerufen am 02.
01. 2023)
Der
Text wurde lange Friedrich C. Oetinger zugeschrieben. „Tatsächlich
geht das Gebet auf den evangelischen Theologen Reinhold Niebuhr und das Jahr
1943 zurück, wie die Württembergische Landesbibliothek überzeugend aufzeigt.“ Evang. Gemeindeblatt für Württemberg
6/2007:
https://www.wlb-stuttgart.de/sammlungen/handschriften/bestand/nachlaesse-und-autographen/oetinger-archiv/gelassenheitsgebet/ (zuletzt abgerufen am 02.01.2023)
Redaktion:
Landespfarrerin
Petra Schulze
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