Wieder
mal stehe ich auf dem Friedhof. Es ist 8.15 Uhr, saukalt und noch keine
Menschenseele unterwegs. Die Kapellentüre ist noch geschlossen; also nehme ich
den Seiteneingang in das Friedhofsbäude.
Wie
immer sitzen die beiden Friedhofsbeamten hinter ihrem Schreibtisch. Sie nicken
mir freundlich zu und sagen: „Heute wieder Ordnungsamtsbestattung. Ist schon
vor drei Monaten gestorben. Unwahrscheinlich, dass jemand kommt, aber wer weiß,
manchmal kommt ja auch wer.“
Ich
nicke und laufe vorbei an Särgen, die schon mal für die folgenden Beerdigungen
bereitstehen.
An
den Anblick von mehreren Särgen habe ich mich inzwischen gewöhnt. Woran ich
mich nie gewöhnen werde, ist der Anblick von Urnen bei
Ordnungsamtsbestattungen.
Die
Urne steht immer genauso da, wie sie aus dem Krematorium geliefert wird.
Obendrauf die unverbrennbare Platte, mit Namen, Geburts- und Sterbedatum drauf.
Die liegt im Sarg, wenn jemand verbrannt wird, damit man die Asche hinterher
auch richtig zuordnen kann. Normalerweise sieht man die nackte Kapsel nicht,
weil die Angehörigen Extraurnengehäuse beim Bestatter kaufen. Auf denen sind
dann der Name „in schön“ eingraviert oder Blumen oder sonst irgendetwas, was
dem, der Verstorbenen wichtig gewesen ist. Bei Ordnungsamtsbestattungen gibt es
nur die nackte, graue Urnenkapsel und darum ein schwarzes Netz. Das sieht in
etwa so aus, wie ein Zitronen-, oder Orangennetz, nur in schwarz.
Ich
ziehe mich um, und bereite mich innerlich darauf vor, dass ich das gleich
alleine mache, also zusammen mit den Friedhofsagestellten natürlich, aber halt
ohne Angehörige.
Trotzdem
gehe ich vorher nochmal vor die Kapelle, um nachzuschauen, ob nicht doch jemand
gekommen ist.
Und
dieses Mal steht eine kleine Gruppe von Menschen vor der Kapelle.
Ich
spreche sie an, und weil ich den Talar anhabe, wissen alle gleich, wer ich bin.
In
der Kapelle rücken wir Stühle zusammen und sprechen über den Verstorbenen.
Erst
sind sie scheu, die Friedhofskapelle ist nicht gerade gemütlich, aber
irgendwann öffnen sie sich dann und erzählen. Von dem, was sie mit dem
Verstorbenen verbindet; Was sie an ihm geschätzt haben; was sein Leben schwer
gemacht hat; worüber er sich gefreut hat.
Und
mit ihren Erzählungen wird aus der dunklen, muffigen Kapelle, mit der
schmucklosen Urne im schwarzen Netz ein warmer, lebendiger Ort. Sie schmücken
den Raum mit ihren Worten, und es ist als würde er inmitten ihrer Erzählungen
zu neuem Leben erstehen.
Und
für einen Moment stimmt es, das mit der Auferstehung der Toten.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/57831_WDR220220406Uhrmeister.mp3