6:30 Uhr morgens. Hektischer Aufbruch.
Wie jeden Morgen. Der eine muss zur Schule, der andere zur Arbeit. Alle haben
es eilig. Und ich stecke mit dem Kopf im Kleiderschrank im Kinderzimmer. Ich
suche Das Cappy meines Sohnes. Ein schwarzes mit einem aufgedruckten Drachen.
Er hat gefühlt 1000 von diesen Mützen. Aber es muss unbedingt dieses eine sein.
Ich finde Socken, Hosen, T-Shirts. Cappys in Blau, Cappys in Gelb. Aber dieses
eine ist einfach nicht da. Ich schimpfe: Über diese schreckliche Unordnung.
Darüber, dass ihm das alles erst morgens um diese Zeit einfällt. Und vor allem
darüber, dass immer alles weg ist, was ich suche. Meine Frau kommt ins Zimmer.
Wortlos greift sie an meinem Kopf vorbei in den Schrank, mitten in das Chaos
hinein. Und zieht genau dieses eine Cappy aus dem Schrank. Ich fasse es nicht.
Wie kann das sein? Ich habe 20 Minuten lang diesen Schrank durchwühlt. Das Ding
war definitiv nicht da. Und sie findet es sofort. Seltsam. So etwas passiert
mir öfter: Mal ist es die Margarine im Kühlschrank, mal sind es meine eigenen
Socken, oft ist es meine Brille. Einfach weg. Und in Wahrheit trotzdem da.
Manchmal frage ich mich, ob das vielleicht auch mit anderen Dingen so ist. Dass
ich fest überzeugt bin: Es gibt sie nicht, und sie sind trotzdem da. Die
Freundlichkeit bei dem ewig nörgelnden Nachbarn. Tieferer Sinn in so vielen
politischen Entscheidungen, über die ich mich immer wieder aufrege. Oder eine
gute Lösung in diesem ganzen Chaos von Inflation, Energieproblematik, Corona,
in dem ich gerade versinke. Und mir sicher bin: Da gibt es keinen Ausweg. Da bräuchte
man auch so jemanden. Der kommt und einem – zack – die Lösung vor die Nase
hält: Hier! War doch da. Weil er sieht, was man selber nicht sieht. Manche
sagen: Das ist Gott. Gott sieht, was ich nicht sehe. Und er leitet mich. Sie sagen
Worte aus der Bibel, wie: „Der Herr ist mein Hirte.“ Und sie finden Halt darin.
Weil sie sich sicher sind: Da ist auf jeden Fall jemand, der mehr erkennt, als
ich erkenne. Und mir Wege zeigt, auf die ich selber nicht komme. Vielleicht ist
es aber auch schon ein guter erster Schritt, sich klar zu machen: Nicht alles
was ich nicht sehe ist auch nicht da. Manchmal findet sich das Ersehnte sogar
direkt vor der eigenen Nase. Und man braucht nur ein bisschen Hilfe beim
Hinsehen. Und die Ehrlichkeit zuzugeben, dass das was man selbst erkennt nicht
unbedingt immer die ganze Wahrheit ist.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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