„Es ist ein Verlust, der an die Identität geht“

Bei der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind auch sechs Archive und Registraturen von rheinischen Kirchengemeinden beschädigt worden. Dr. Stefan Flesch, Direktor des Landeskirchlichen Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, hat sich einen Überblick über das Ausmaß der Schäden verschafft. „Es ist ein Verlust, der an die Identität geht“, so beschreibt er beispielsweise die Situation im Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr.

In dem gut geordneten und bislang fast vollständigen Gemeindearchiv sind nun viele Unikate einfach weg oder völlig zerstört, zum Beispiel Unterlagen aus der Zeit der Gemeindegründung im 19. Jahrhundert. Zur Bergung der dortigen Archivalien gibt es einen ausführlichen Erfahrungsbericht im Blog des Landeskirchlichen Archivs .

Zur schnellen Rettung: Akten einfrieren

In der Kirchengemeinde Opladen ist ein Schrank mit Kirchenbüchern betroffen und im Kirchenkreis Wuppertal bezieht sich der Schaden auf die Registratur. Schwerere Wasserschäden haben die Archive der Gemeinden im Schleidener Tal und in Rheinbach zu verzeichnen. Die meisten beschädigten Archivalien dort sind zurzeit eingefroren, bis die nächsten Schritte zur Rettung der Unterlagen eingeleitet werden. Denn: Einfrieren verschafft Zeit, am besten innerhalb der ersten 48 Stunden nach der Durchnässung. So würden die Ausbreitung von Feuchtigkeit sowie biochemische Prozesse wie Schimmeln verhindert, erklärt Dr. Stefan Flesch. Anschließend folge eine schonende Gefriertrocknung sowie eine Reinigung durch Fachbetriebe.

In Inden kam jede Hilfe zu spät

Einen großen Schaden hat auch das Archiv der Kirchengemeinde Inden-Langerwehe erlitten. „80 Prozent der Unterlagen sind schlichtweg zerstört“, erzählt Dr. Stefan Flesch nach einem Besuch in der Gemeinde. Ehrenamtliche kümmern sich nun darum, dass möglichst viele Informationen über die Digitalisierung der Akten gesichert werden. Wertvolle Stücke wie die Chronik der Gemeinde und Planzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert werden an einen Restaurator für professionelle Restaurierung übergegeben.

Dunkelziffer der Schäden ist vermutlich hoch

Rund vier Wochen nach der Flutkatastrophe sind dem Archivdirektor bislang sechs Schadensfälle bekannt, allerdings geht er von einer hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter Schäden aus. Vor allem im Bereich der Altregistraturen der 1970er- bis 2000er-Jahre. Gemeinden können sich in diesen Fällen an das Landeskirchliche Archiv wenden, das für fachgerechten Austausch und Beratung mit dem Archivberatungszentrum des Landschaftsverbandes Rheinland zusammenarbeitet.

Gemeinden müssen ihre Archive besser schützen

Nach den teilweise verheerenden Schäden appelliert der Landeskirchenarchivdirektor an die Gemeinden, ihre Archivalien besser zu schützen. „Die Unterbringung von historischen Beständen in Kellerräumen ist ein absolutes No-Go“, sagt Flesch. Und das nicht nur wegen Hochwasser-Gefahr: In Kellerräumen liefen oftmals die Hauptversorgungsleitungen zusammen – ein Rohrbruch könne genauso schlimme Schäden anrichten. Archive, die im Erd- oder Obergeschoss liegen, seien von der Flutkatastrophe weitgehend verschont geblieben. Des Weiteren rät er dazu, Archivkartons zum besseren Schutz von Unterlagen zu verwenden. Dies sei eine Erfahrung aus dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009. „Geordnete Archivbestände, die kartoniert sind, halten solche Katastrophen besser aus.“

 

  • 13.8.2021
  • Lina Zittrich
  • Dr. Stefan Flesch