Meinem unbekannten Opa, Ukraine

Kirche in WDR3 | 24.03.2023 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Vor einigen Jahren war ich mit einem

humanitären Transport in Belarus oder Weißrussland. Es ging nach Bobruisk. Das

ist eine größere Stadt. Dort besuchen wir verschiedene Kirchen, treffen andere

Christen. Wir besichtigen die Stadt und fahren einen Nachmittag auch zu einem Soldatenfriedhof.

(1)

Die Menschen in Belarus haben einen ganz anderen Umgang mit dem zweiten

Weltkrieg. Da steht ein echter Panzer aus dem Krieg mitten in der Fußgängerzone

als Denkmal. Es sind dort auch prächtige Gedenktafeln aufgestellt mit den

Weltkriegshelden der Stadt. Ich habe mir diese Dinge mit Befremden angesehen. Und

weiß doch auch: Deutsche Soldaten haben hier im Zweiten Weltkrieg viele

Gräueltaten begangen, vor allem an den Juden der Stadt. (2)

Der Friedhof, den wir besuchen, ist ein

deutscher Soldatenfriedhof. Er ist angelegt und gepflegt worden vom Volksbund

Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V..

34.172 deutsche Soldaten sind hier begraben. Was für eine Zahl.

Mein Großvater liegt auf einem ähnlichen Soldatenfriedhof. Er ist in Frankreich

gefallen. Mein Vater war da gerade mal dreizehn Jahre alt. Als Jugendlicher bin

ich einmal mit meiner Oma und meinem Vater am Grab meines Großvaters gewesen.

Doch hier auf diesem Friedhof in Belarus

überkommt mich auf einmal ein Gefühl, das ich nie vorher erlebt habe. Plötzlich

vermisse ich meinen Großvater! Eine Träne läuft mir über das Gesicht. Ich habe

ihn natürlich nie kennengelernt. Doch plötzlich – auf diesem Friedhof – empfinde

ich eine tiefe Traurigkeit, dass ich

ihn nie treffen konnte. Was hätte er mir zu erzählen gehabt? Er war Lehrer

gewesen. Und wohl ein sehr fortschrittlicher. Ich unterrichte ja auch einige

Stunde Religion an einer Schule. Hätte er wohl Tipps für mich? Was hätte er von

meinem Vater erzählt?

Von meinem Großvater habe ich einen Satz besonders in Erinnerung. Den

hat mir mein Vater mehrmals erzählt. Mein Großvater hatte schon den ersten

Weltkrieg mitmachen müssen. 1939 hat er dann gesagt: "Nun geht der Scheiß

wieder los." Dieses Schimpf-Wort war damals sicherlich nicht so geläufig

wie heute. Und mein Großvater war Lehrer, er musste sich gut ausdrücken. Doch mein Vater war sich sehr

sicher, dass mein Großvater genau dieses Wort benutzt hat.

Dreizehn Monate herrscht nun schon der Krieg in der Ukraine. Und diese "Scheiße"

wird wohl noch länger dauern. Jeder Tag im Krieg ist einer zu viel.

Schrecklich, grausam, tödlich ist Krieg. Und er pflanzt langen Hass in die

Herzen vieler Menschen. Sicherlich meine Traurigkeit über meinen Großvater ist wirklich

nichts im Vergleich mit dem Leid der Menschen in der Ukraine – und in Russland.

Mir macht es nur deutlich, wie lange solche Schrecken nachwirken können.

Mitten auf dem Soldatenfriedhof bei Bobruisk

steht ein großes, einfaches Kreuz. Ich muss daran denken, dass an diesem Kreuz

einmal der Sohn Gottes hing. Jesus ist dort elendig gestorben. Seine Botschaft

war eine Friedensbotschaft, sein Motto: Liebe Gott und deinen nächsten Mitmenschen

wie dich selbst. Für mich ist es ein Trost zu wissen, dass Gott selber dort

gelitten hat. Ihm ist kein menschliches Leid unbekannt.

Und der zweite Trost: Ich glaube mit Gewissheit, dass Jesus von den Toten

auferstanden ist. Und damit ist für mich klar, dass nicht der Hass siegen wird.

Nicht der Tod, nicht die destruktiven Mächte. Am Ende werden Gottes Liebe und

sein Frieden siegen. Das mag naiv klingen, aber bisher habe ich keine

Alternative zu diesem Trost gefunden.

Ihr

Pastor Heddo Knieper aus Soest.

(1)

Schatkowo, Informationen von: https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/schtschatkowo, Aufruf am 25.01.23.

(2)

https://de.wikipedia.org/wiki/Babrujsk,

Aufruf

am 26.02.23.

Redaktion:

Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/60668_WDR3520230324KnieperWDR35.mp3

  • 24.3.2023
  • Heddo Knieper
  • (Kirche im WDR)
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