Kleinigkeit - Heiligkeit

Kirche in WDR3 | 09.02.2023 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Ein Kind weint. Der kleine Junge steht im Supermarkt und

scheint seine Eltern verloren zu haben. Eine junge Frau geht in die Hocke und

spricht ihn an. Der Kleine beruhigt sich. Und da ist ja auch schon die Mutter.

Diese Geste der jungen Frau, sich hinzuhocken, um dem Kind in die Augen schauen

können, diese Geste nennt der Schriftsteller Ulrich Schaffer eine „heilige

Handlung“. In seinem Gedicht „Kleinigkeiten“ (1) erzählt er davon. Mir fällt

eine andere „heilige Handlung“ ein: Ich bin unterwegs mit Freunden. Wandern. Wir

rasten. Einer schält einen Apfel, schneidet ihn in Stücke und reicht uns

nacheinander ein Stückchen. Sich selbst bedenkt er zum Schluss. In dem Moment

als das Apfelstückchen von seiner Hand in unsere Hand wandert, geht ein

Leuchten geht über unsere Gesichter. So fürsorglich ist der Freund. Das tut

einfach gut. Ulrich Schaffer beschreibt eine ganz ähnliche Szene in seinem

Gedicht über die „Kleinigkeiten“ und schreibt: „Eure Hände berührten

sich und es war als käme ein Engel und bewegte die Luft über euch mit seinen

Flügeln.“ Der Dichter erkennt, dass hier mehr passiert, als dass ich ein Stückchen

Apfel bekomme. Liebe, Freundschaft, Zuneigung, Wohlwollen, Fürsorge… diese

großen Wörter bekommen ein Gesicht in den kleinen Gesten. Diese kleinen Gesten

haben eine große Kraft. Schauen Sie sich doch mal glückliche Paare an – und da

meine ich nicht nur die frisch verliebten. Wie da eine Hand über den Unterarm

streicht oder sich kurz auf die Schulter legt. Mit vielen kleinen Gesten ohne

Worte können Liebende ihre Zuneigung immer wieder bekräftigen und zeigen.

Liebe kann sich auch da zeigen, wo wir einander nicht

so nah stehen oder auch zwischen völlig Fremden: Wenn jemand zum Beispiel mitten

im Trubel fragt: „Wie geht es Dir?“ Und für einen Moment wirklich zuhört. Um

uns für diese Minuten ein stiller Raum, den der Trubel nicht durchdringen kann.

Ein „heiliger Raum“.

Oder wenn sich ein Schüler rasch in die Türschranke

von der U-Bahn stellt, als ich mit meinen Einkaufstaschen über den Bahnsteig

gerannt komme und die Bahn noch erwischen will. Ein kurzes „DANKE!“ von mir.

Ein Lächeln vom Schüler. Eine „heilige Handlung, ein heiliger Raum“ – für einen

kurzen Moment blitzt für mich etwas von Gott auf.

Aufmerksam für diese Kleinigkeiten in meinem Leben

will ich sein. Sie sind Gottes Geschenke an mich. Kurze Gottesdienste im

Alltag.

Aufmerksam sein für das Kleine, durch das Gott zu mir

spricht. Das kann auch so aussehen: „Einmal versprachst du dich und merktest,

dass der Versprecher das Eigentliche war, was du sagen wolltest. Du wurdest

ganz still angesichts der Weisheit, die sich dadurch ausdrückte.“ Schreibt Ulrich

Schaffer. Die Weisheit ist in der Bibel ein Ausdruck für Gott. Mit Gott rechnen

– mitten im Alltag. Seine Größe blitzt auf in scheinbaren Kleinigkeiten.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen, Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin

in Düsseldorf.

Quelle:

(1) Ulrich Schaffer, „Kleinigkeiten“, aus dem Buch:

VOM GLÜCK, DICH ZU KENNEN, Briefe einer Freundschaft, Hg. v. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau; 1. Edition (30. Mai

2018).

https://www.facebook.com/profile.php?id=100044312745416 veröffentlicht am 25.01.2023, 07:12 Uhr. (zuletzt abgerufen am

27.01.2023)

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/60290_WDR3520230209Schulze.mp3

  • 9.2.2023
  • Petra Schulze
  • © CCO Pixabay
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