Du bist da

Kirche in WDR2 | 01.07.2022 | 00:00 Uhr

Mein Gott, wie bin ich hier bloß

hingeraten? Wie hab‘ ich das nur geschafft?

Als ich in diesem Wald lag,

da hab‘ ich echt nicht gewusst, ob ich das packe. Ich bin ja ganz allein

gewesen und meine Wunde hat so unglaublich wehgetan. Diese blöde Kugel, die

mich erwischt hat! Aber jetzt liege ich hier in diesem Behelfsbett und der Doktor

meint, die Operation wäre gut verlaufen. „Sie werden’s überleben“, hat er

gesagt und war dann sofort wieder weg. Total in Eile.

„Sie werden’s überleben.“

Mein Gott, was für ein Satz! Wie ein riesengroßes Versprechen. Ich mein‘, ich hab‘

immer noch Schmerzen und fühl‘ mich total platt. Aber wenn das wahr ist, dann

komme ich wieder nach Hause. Zu meiner Familie und meinen Kindern. Ich kann das

überhaupt noch nicht richtig glauben. Deswegen muss ich mich immer an diesen

Satz klammern, muss mich an ihn erinnern, sage ihn manchmal sogar halblaut vor

mich hin: „Sie werden’s überleben.“

Mein Gott, was hätte ich für

diesen Satz gegeben, als ich im Wald lag. Und zum ersten Mal seit Jahren wieder

mit dir gesprochen habe. Wo ich nicht sicher war, ob ich jemals wieder mit

einem Menschen reden könnte. Hast du mir da wirklich zugehört, Gott? Hast du

dich echt meinem Stöhnen, meinen Schmerzen und meiner Angst ausgesetzt? Hast du

mich da ‘rausgeholt? Hast du dafür gesorgt, dass ich gerettet worden bin?

Ich mein‘, die Fragen hast du

nicht beantwortet, die ich dir gestellt habe. Warum dieser Krieg überhaupt sein

muss. Und was ich dabei zu suchen habe. Warum ich da liegen muss, in diesem

Wald, mit dieser Kugel in mir. Ich weiß immer noch nicht, warum die mich hat

treffen müssen, nachdem alle anderen vorher immer an mir vorbeigeflogen sind.

Aber vielleicht ist es auch zu viel verlangt, alles wissen zu wollen. Alles

erklärt zu kriegen. Vielleicht ist die Erfahrung wichtiger, dass du da bist,

Gott. Selbst in diesem grauseligen Krieg, da, wo geschossen, gebombt, verletzt

und gestorben wird. Diese Erfahrung hab‘ ich nun gemacht, Gott. Als ich dachte:

„Hier geht’s nicht mehr weiter. Aus diesem Wald kommst du nie wieder ‘raus.“ Da

bist du da gewesen. Und jetzt bin ich ‘raus aus diesem Wald.

Keine Ahnung, wie du das

gemacht hast, Gott. Dass ich rechtzeitig gefunden worden bin. Früher hätt‘ ich

von Zufall gesprochen oder Glück. Aber jetzt sind mir diese Begriffe zu klein.

Zu klein für meine Erleichterung. Meine Dankbarkeit und meine Hoffnung, dass

das Leben weitergeht. Vielleicht irgendwann sogar wieder halbwegs normal. Du

bist mehr als Zufall oder Glück, Gott, viel mehr. Denn du bist da, wie ein

echtes Gegenüber. Darauf werd‘ ich mich einstellen in meinem weiteren Leben.

Redaktion: Pastorin

Sabine Steinwender-Schnitzius

  • 1.7.2022
  • Martin Vogt
  • (Foto: Pixabay)