Musik 1: Choral, Strophe 1
Die Helle Sonn Leucht‘
Jetzt Herfur (für Singstimmen) Komponist:
Vulpius, Melchior. Textdichter:
Hermann, Nikolaus; Album: Die helle Sonn leuchtet. Deutsche
Kirchenlieder. Interpret: Stimmwerck. Label: cpo; LC-Nr.:
08492.
Overvoice-Sprecherin: Die helle Sonn leucht‘ jetzt herfür, fröhlich vom Schlaf
aufstehen wir, Gott Lob, der uns in dieser Nacht behüt‘ hat vor des Teufels
Macht. (Strophe 1)
Autor: Im Winter schlafe ich mit
geöffneten Vorhängen. Jeden Morgen nehme ich dann etwas früher wahr, wie die
Sonne ins Schlafzimmer scheint. Ich freue mich, dass die Tage wieder länger
werden, und bin nicht traurig, dass ich jeden Morgen etwas früher wach werde.
Jeder Tag ist ein Geschenk. Und ein lichtdurchfluteter Morgen ist eine
besondere Gabe.
„Die helle Sonn leucht‘ jetzt
herfür“, so hat es der Kirchenmusiker Nikolaus Hermann um 1560 gedichtet. Die
helle Sonne kommt jetzt hervor, sie erleuchtet den Tag. Mit diesem strahlenden
Licht kann ich wirklich fröhlich aufstehen, so wie der Liederdichter es
beschreibt. In der Stadt, in der der Dichter lebte, wussten die Menschen diese
helle Stunde am frühen Morgen noch viel mehr zu schätzen. Denn viele von ihnen
mussten bald wieder in die Dunkelheit eintauchen. Nikolaus Hermans
Wirkungsstätte lag in Joachimsthal in Böhmen nahe der Grenze zu Sachsen. Die
Stadt war seit einiger Zeit vom Silberbergbau geprägt. Viele mussten Tag für
Tag in dunklen Stollen mit schwerer Arbeit Massen an Gestein abbauen, um etwas
Silber zu gewinnen. Doch dadurch ist die Stadt auch zu Wohlstand gekommen.
Bekannt wurden die Silbermünzen, die man in Joachimsthal prägte. Diese
Joachimstahler, wurden bald nur noch Thaler genannt. Der amerikanische Dollar
geht auf das Wort Taler zurück. So bringt er den Ruhm dieser Stadt, die heute
zu Tschechien gehört, in die ganze Welt.
Der Kirchenmusiker Nikolaus
Herman dankt Gott für all dies. So dichtet er in einem anderen Lied:
Sprecherin: Mit Gnad sieh unser Bergwerk an, weil wir
hier sonst kein Nahrung han […]; Wenn du auftust deine milde Hand, aller Mangel
ist gewandt; Gold, Silber, Erz und all Metall, sind doch dein Gaben allzumal. (1)
Autor: In unserem Lied von der hellen
Sonne denkt er an die Zeit vor dem Aufwachen: Gott Lob, der uns in dieser
Nacht behüt‘ hat vor des Teufels Macht. Er weiß, dass es auch die dunklen
Seiten im Leben gibt. Umso mehr wünscht er sich, dass Gott mit seinem Licht der
Sonne alles überstrahlt.
Musik 2: Choral, Strophe 2
Die helle Sonn‘ leucht‘
jetzt herfür (für 4 Singstimmen und Bassocontinuo) Interpret:
Nicolai-Ensemble Hameln. Komponist: Vulpius, Melchior. Textdichter: Hermann, Nikolaus; Album: Freu
dich sehr, o meine Seele. Geistliche Hausmusik des Barock (Nicolai-Ensemble
Hameln, Hans Christoph Becker-Foss). Label:
ambiente; LC-Nr.: 07811.
Overvoice-Sprecherin: Herr Christ, den Tag uns auch behüt vor Sünd und Schand
durch deine Güt; lass deine lieben Engelein unsere Hüter und Wächter sein, (Strophe 2)
Autor: Die lieben Engel und der Teufel sind für den Dichter
nicht schmückendes Beiwerk sondern Realität. Ein Engel ist ein Bote Gottes, der
zur rechten Zeit am rechten Ort mahnt und dadurch auch hilft. Der Teufel
erinnert daran, dass immer jemand versuchen wird, Gottes Werk durcheinander zu
bringen, und den Menschen Knüppel zwischen die Beine wirft, um sie zu Fall zu
bringen.
Diese Gedanken erinnern besonders
an den Morgensegen Martin Luthers.
Sprecher: Ich danke dir, mein himmlischer
Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diese Nacht vor
allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen
Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, dass dir all mein Tun und Leben
gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände.
Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.
Autor: Martin Luther greift mit diesen Worten alte
christliche Traditionen auf, die lateinisch überliefert wurden. (2) Durch seine
Übersetzung ins Deutsche bringt er die klösterlichen Traditionen in die
Wohnstuben der Gläubigen, wo sie nach dem Aufstehen gebetet werden. Nikolaus
Herman beschreitet diesen Weg weiter und fasst die Worte in einfachen Reimen
zusammen, so dass sie besser behalten werden können, und sich durch häufigen
Gesang einprägen.
Der Dichter Hermann stand mit dem
Reformator Luther in Kontakt. Gemeinsame Bekannte überbrachten Nachrichten. In
einem Brief gibt Martin Luther dem Kantor und Lehrer Nikolaus Hermann 1524
einen Rat. Herman fühlte sich kurz nach Beginn seines Dienstes in Joachimsthal
nicht mehr wohl. Es gab einen Konflikt, der seit einiger Zeit beigelegt war.
Aber dennoch wollte Herman die Stadt wieder verlassen. Luther schreibt ihm:
Sprecher: Ich aber urteile, nachdem der Herr dir bereits Gnade
gegeben hat, dass du den vergangenen Fall durch Geduld überwunden hast, dass du
ausharren müsstest, zumal da sie sich schon freundlich zeigen, wie du
schreibst, bis dass du schließlich alles überwindest. Wer weiß, was Gott über
dich gedenkt, oder was er durch dich tun werde. (3)
Autor: Nikolaus Herman ist Luthers Rat gefolgt. In
seinem Amt als Organist und Kantor der Gemeinde und als Rektor der Lateinschule
St. Joachimsthal (4) hinterlässt er Spuren, die bis heute erkennbar sind:
Musik 1: Choral, Strophe 3
Overvoice-Sprecherin: dass unser Herz in G‘horsam leb, deim Wort
und Willn nicht widerstreb, dass wir dich stets vor Augen han in allem, was wir
heben an. (Strophe 3)
Autor: Das Wort Gehorsam hat heute einen negativen
Klang. Zu oft ist Gehorsam von den Mächtigen missbraucht worden. Nikolaus
Hermann hat Jahrzehnte lang Kinder unterrichtet, für sie schreibt er auch seine
Lieder. Er versteht Kindererziehung im Geiste Luthers. Kinder sollen hüpfen und
springen und mit Vergnügen lernen. (5)
Ein gehorsames Herz hat ein
Mensch, der auf sein Herz hört. Und wer Gott vor Augen hat, geht mit offenen
Augen durchs Leben. Einen solchen hörenden und sehenden Glauben vermittelt
Nicolaus Hermann den Kindern durch seine Lieder.
Einen solchen Glauben hatte ein
Kind am Anfang des letzten Jahrhunderts. Als Martin Niemöller neun Jahre alt ist,
nimmt ihn sein Vater, von Beruf Pfarrer, mit zu einem Krankenbesuch bei einem
Textilarbeiter. Dort sieht der Junge einen Spruch, der mit Glasperlen auf Samt
gestickt war: „Was würde Jesus dazu sagen?“ (6)
Aus dem kleinen Jungen wird ein
Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus. Seinen kritischen Geist lässt er
sich auch von den Mächtigsten nicht nehmen. „Was würde Jesus dazu sagen?“ Dies
blieb das Leitwort für seinen christlichen Glauben, und so war er gehorsam
gegenüber dem Wort Gottes.
Auf diese Weise will ich Gott mit
seinem Wort und Willen stets vor Augen haben, in allem, was ich tue.
Musik 2: Choral, Strophe 4
Overvoice-Sprecherin: Lass unser Werk geraten wohl, was ein jeder
ausrichten soll, dass unsre Arbeit, Müh und Fleiß gereich zu deim Lob, Ehr und
Preis. (Strophe 4)
Autor: Das ganze Leben ist ein Gottesdienst. So hat
die Reformation mit Martin Luther ein Leben verstanden, das Gott gefällt. Gott
zieht mich nicht etwa aus dem täglichen Leben heraus oder hält mich von der
Arbeit ab. Im Gegenteil, wenn ich Gott in mein Leben hineinnehme, dann kann ich
alle meine Aufgaben erfüllen, so dass es ihm gefällt.
Nikolaus Herman hat selbst so
gelebt. Er hat seine Aufgaben in Kirche und Schule erfüllt. Und als er in den
letzten Lebensjahren immer schwächer wurde, ist er aus dem aktiven Dienst
ausgeschieden, blieb aber seiner Aufgabe treu. Sein Gehalt musste er damals
zwar mit seinem Nachfolger teilen. Aber mit der ihm verbleibenden Kraft
bereitete er seine Dichtungen für den Druck vor. (7)
Im Jahre 1560 erscheint sein
Büchlein mit Liedern zu den verschiedenen Evangeliumslesungen für die Sonntage
des Jahres. Unter der Überschrift „Morgensegen“ findet sich das Lied „Die helle
Sonn leucht jetzt herfür.“ Heute wird es mit einer Melodie von Melchior Vulpius
aus dem Jahre 1609 gesungen. Es eröffnet im derzeitigen Evangelischen
Gesangbuch die Reihe der Morgenlieder. Mit 14 weiteren Liedern ist Nikolaus
Hermann in diesem Gesangbuch vertreten. Er verstarb kurz nach der
Veröffentlichung dieses Liedes und wurde wohl 60 Jahre alt. Die Worte Martin
Luthers haben sich bewahrheitet: „Wer weiß, was Gott über dich gedenkt, oder
was er durch dich tun werde.“
Ich werde mich an die Zeilen von
Nikolaus Herman erinnern, wenn ich morgens durch die hellen Sonnstrahlen
fröhlich aufwache.
Musik 1: instrumental
Quellen:
(1) Die Sontags || Euangelia/ vnd von den ||
fürnemsten Festen vber das gantze Jar/|| Jn Gesenge gefasset für Christliche
Haus-||ueter vnd jre Kinder/ Mit vleis corri-||girt/ gebessert vnd gemehret/||
Durch || Nicolaum Herman im || Jochimsthal.|| Ein bericht/ vff was thon… –
Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de) – Seite 131r https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/FCJBQ6VJ4RD4B7SG7OCRUSWDADPLRBAP
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Morgensegen_und_Abendsegen#Herkunft_des_Stoffes
(3) Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, hrsg.:
Dr. Joh. Georg Walch, 21. Bd. Dr. Luthers Briefe (Erste Abteilung), St. Louis
1903. Spalte 657.
(4) Dietmar Pistorius, Artikel: Herman,
Nikolaus. In: Komponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuches,
hrsg., Wolfgang Herbst, Göttingen 1999 (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch;
Bd. 2). Seite 146.
(5) Martin Rössler, Liedermacher im
Gesangbuch, Band 1. Stuttgart 1990. Seite 108.
(6)
https://www.westfalen-blatt.de/owl/kreis-guetersloh/verl/was-wurde-jesus-dazu-sagen-945745
(7) Dietmar Pistorius, aaO., Seite 147.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth