„Die Helle Sonn leucht‘ jetzt herfür“ (eg 437)

Choralandacht | 11.03.2023 | 00:00 Uhr

Musik 1: Choral, Strophe 1

Die Helle Sonn Leucht‘

Jetzt Herfur (für Singstimmen) Komponist:

Vulpius, Melchior. Textdichter:

Hermann, Nikolaus; Album: Die helle Sonn leuchtet. Deutsche

Kirchenlieder. Interpret: Stimmwerck. Label: cpo; LC-Nr.:

08492.

Overvoice-Sprecherin: Die helle Sonn leucht‘ jetzt herfür, fröhlich vom Schlaf

aufstehen wir, Gott Lob, der uns in dieser Nacht behüt‘ hat vor des Teufels

Macht. (Strophe 1)

Autor: Im Winter schlafe ich mit

geöffneten Vorhängen. Jeden Morgen nehme ich dann etwas früher wahr, wie die

Sonne ins Schlafzimmer scheint. Ich freue mich, dass die Tage wieder länger

werden, und bin nicht traurig, dass ich jeden Morgen etwas früher wach werde.

Jeder Tag ist ein Geschenk. Und ein lichtdurchfluteter Morgen ist eine

besondere Gabe.

„Die helle Sonn leucht‘ jetzt

herfür“, so hat es der Kirchenmusiker Nikolaus Hermann um 1560 gedichtet. Die

helle Sonne kommt jetzt hervor, sie erleuchtet den Tag. Mit diesem strahlenden

Licht kann ich wirklich fröhlich aufstehen, so wie der Liederdichter es

beschreibt. In der Stadt, in der der Dichter lebte, wussten die Menschen diese

helle Stunde am frühen Morgen noch viel mehr zu schätzen. Denn viele von ihnen

mussten bald wieder in die Dunkelheit eintauchen. Nikolaus Hermans

Wirkungsstätte lag in Joachimsthal in Böhmen nahe der Grenze zu Sachsen. Die

Stadt war seit einiger Zeit vom Silberbergbau geprägt. Viele mussten Tag für

Tag in dunklen Stollen mit schwerer Arbeit Massen an Gestein abbauen, um etwas

Silber zu gewinnen. Doch dadurch ist die Stadt auch zu Wohlstand gekommen.

Bekannt wurden die Silbermünzen, die man in Joachimsthal prägte. Diese

Joachimstahler, wurden bald nur noch Thaler genannt. Der amerikanische Dollar

geht auf das Wort Taler zurück. So bringt er den Ruhm dieser Stadt, die heute

zu Tschechien gehört, in die ganze Welt.

Der Kirchenmusiker Nikolaus

Herman dankt Gott für all dies. So dichtet er in einem anderen Lied:

Sprecherin: Mit Gnad sieh unser Bergwerk an, weil wir

hier sonst kein Nahrung han […]; Wenn du auftust deine milde Hand, aller Mangel

ist gewandt; Gold, Silber, Erz und all Metall, sind doch dein Gaben allzumal. (1)

Autor: In unserem Lied von der hellen

Sonne denkt er an die Zeit vor dem Aufwachen: Gott Lob, der uns in dieser

Nacht behüt‘ hat vor des Teufels Macht. Er weiß, dass es auch die dunklen

Seiten im Leben gibt. Umso mehr wünscht er sich, dass Gott mit seinem Licht der

Sonne alles überstrahlt.

Musik 2: Choral, Strophe 2

Die helle Sonn‘ leucht‘

jetzt herfür (für 4 Singstimmen und Bassocontinuo) Interpret:

Nicolai-Ensemble Hameln. Komponist: Vulpius, Melchior. Textdichter: Hermann, Nikolaus; Album: Freu

dich sehr, o meine Seele. Geistliche Hausmusik des Barock (Nicolai-Ensemble

Hameln, Hans Christoph Becker-Foss). Label:

ambiente; LC-Nr.: 07811.

Overvoice-Sprecherin: Herr Christ, den Tag uns auch behüt vor Sünd und Schand

durch deine Güt; lass deine lieben Engelein unsere Hüter und Wächter sein, (Strophe 2)

Autor: Die lieben Engel und der Teufel sind für den Dichter

nicht schmückendes Beiwerk sondern Realität. Ein Engel ist ein Bote Gottes, der

zur rechten Zeit am rechten Ort mahnt und dadurch auch hilft. Der Teufel

erinnert daran, dass immer jemand versuchen wird, Gottes Werk durcheinander zu

bringen, und den Menschen Knüppel zwischen die Beine wirft, um sie zu Fall zu

bringen.

Diese Gedanken erinnern besonders

an den Morgensegen Martin Luthers.

Sprecher: Ich danke dir, mein himmlischer

Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diese Nacht vor

allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen

Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, dass dir all mein Tun und Leben

gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände.

Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.

Autor: Martin Luther greift mit diesen Worten alte

christliche Traditionen auf, die lateinisch überliefert wurden. (2) Durch seine

Übersetzung ins Deutsche bringt er die klösterlichen Traditionen in die

Wohnstuben der Gläubigen, wo sie nach dem Aufstehen gebetet werden. Nikolaus

Herman beschreitet diesen Weg weiter und fasst die Worte in einfachen Reimen

zusammen, so dass sie besser behalten werden können, und sich durch häufigen

Gesang einprägen.

Der Dichter Hermann stand mit dem

Reformator Luther in Kontakt. Gemeinsame Bekannte überbrachten Nachrichten. In

einem Brief gibt Martin Luther dem Kantor und Lehrer Nikolaus Hermann 1524

einen Rat. Herman fühlte sich kurz nach Beginn seines Dienstes in Joachimsthal

nicht mehr wohl. Es gab einen Konflikt, der seit einiger Zeit beigelegt war.

Aber dennoch wollte Herman die Stadt wieder verlassen. Luther schreibt ihm:

Sprecher: Ich aber urteile, nachdem der Herr dir bereits Gnade

gegeben hat, dass du den vergangenen Fall durch Geduld überwunden hast, dass du

ausharren müsstest, zumal da sie sich schon freundlich zeigen, wie du

schreibst, bis dass du schließlich alles überwindest. Wer weiß, was Gott über

dich gedenkt, oder was er durch dich tun werde. (3)

Autor: Nikolaus Herman ist Luthers Rat gefolgt. In

seinem Amt als Organist und Kantor der Gemeinde und als Rektor der Lateinschule

St. Joachimsthal (4) hinterlässt er Spuren, die bis heute erkennbar sind:

Musik 1: Choral, Strophe 3

Overvoice-Sprecherin: dass unser Herz in G‘horsam leb, deim Wort

und Willn nicht widerstreb, dass wir dich stets vor Augen han in allem, was wir

heben an. (Strophe 3)

Autor: Das Wort Gehorsam hat heute einen negativen

Klang. Zu oft ist Gehorsam von den Mächtigen missbraucht worden. Nikolaus

Hermann hat Jahrzehnte lang Kinder unterrichtet, für sie schreibt er auch seine

Lieder. Er versteht Kindererziehung im Geiste Luthers. Kinder sollen hüpfen und

springen und mit Vergnügen lernen. (5)

Ein gehorsames Herz hat ein

Mensch, der auf sein Herz hört. Und wer Gott vor Augen hat, geht mit offenen

Augen durchs Leben. Einen solchen hörenden und sehenden Glauben vermittelt

Nicolaus Hermann den Kindern durch seine Lieder.

Einen solchen Glauben hatte ein

Kind am Anfang des letzten Jahrhunderts. Als Martin Niemöller neun Jahre alt ist,

nimmt ihn sein Vater, von Beruf Pfarrer, mit zu einem Krankenbesuch bei einem

Textilarbeiter. Dort sieht der Junge einen Spruch, der mit Glasperlen auf Samt

gestickt war: „Was würde Jesus dazu sagen?“ (6)

Aus dem kleinen Jungen wird ein

Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus. Seinen kritischen Geist lässt er

sich auch von den Mächtigsten nicht nehmen. „Was würde Jesus dazu sagen?“ Dies

blieb das Leitwort für seinen christlichen Glauben, und so war er gehorsam

gegenüber dem Wort Gottes.

Auf diese Weise will ich Gott mit

seinem Wort und Willen stets vor Augen haben, in allem, was ich tue.

Musik 2: Choral, Strophe 4

Overvoice-Sprecherin: Lass unser Werk geraten wohl, was ein jeder

ausrichten soll, dass unsre Arbeit, Müh und Fleiß gereich zu deim Lob, Ehr und

Preis. (Strophe 4)

Autor: Das ganze Leben ist ein Gottesdienst. So hat

die Reformation mit Martin Luther ein Leben verstanden, das Gott gefällt. Gott

zieht mich nicht etwa aus dem täglichen Leben heraus oder hält mich von der

Arbeit ab. Im Gegenteil, wenn ich Gott in mein Leben hineinnehme, dann kann ich

alle meine Aufgaben erfüllen, so dass es ihm gefällt.

Nikolaus Herman hat selbst so

gelebt. Er hat seine Aufgaben in Kirche und Schule erfüllt. Und als er in den

letzten Lebensjahren immer schwächer wurde, ist er aus dem aktiven Dienst

ausgeschieden, blieb aber seiner Aufgabe treu. Sein Gehalt musste er damals

zwar mit seinem Nachfolger teilen. Aber mit der ihm verbleibenden Kraft

bereitete er seine Dichtungen für den Druck vor. (7)

Im Jahre 1560 erscheint sein

Büchlein mit Liedern zu den verschiedenen Evangeliumslesungen für die Sonntage

des Jahres. Unter der Überschrift „Morgensegen“ findet sich das Lied „Die helle

Sonn leucht jetzt herfür.“ Heute wird es mit einer Melodie von Melchior Vulpius

aus dem Jahre 1609 gesungen. Es eröffnet im derzeitigen Evangelischen

Gesangbuch die Reihe der Morgenlieder. Mit 14 weiteren Liedern ist Nikolaus

Hermann in diesem Gesangbuch vertreten. Er verstarb kurz nach der

Veröffentlichung dieses Liedes und wurde wohl 60 Jahre alt. Die Worte Martin

Luthers haben sich bewahrheitet: „Wer weiß, was Gott über dich gedenkt, oder

was er durch dich tun werde.“

Ich werde mich an die Zeilen von

Nikolaus Herman erinnern, wenn ich morgens durch die hellen Sonnstrahlen

fröhlich aufwache.

Musik 1: instrumental

Quellen:

(1) Die Sontags || Euangelia/ vnd von den ||

fürnemsten Festen vber das gantze Jar/|| Jn Gesenge gefasset für Christliche

Haus-||ueter vnd jre Kinder/ Mit vleis corri-||girt/ gebessert vnd gemehret/||

Durch || Nicolaum Herman im || Jochimsthal.|| Ein bericht/ vff was thon… –

Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de) – Seite 131r https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/FCJBQ6VJ4RD4B7SG7OCRUSWDADPLRBAP

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Morgensegen_und_Abendsegen#Herkunft_des_Stoffes

(3) Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, hrsg.:

Dr. Joh. Georg Walch, 21. Bd. Dr. Luthers Briefe (Erste Abteilung), St. Louis

1903. Spalte 657.

(4) Dietmar Pistorius, Artikel: Herman,

Nikolaus. In: Komponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuches,

hrsg., Wolfgang Herbst, Göttingen 1999 (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch;

Bd. 2). Seite 146.

(5) Martin Rössler, Liedermacher im

Gesangbuch, Band 1. Stuttgart 1990. Seite 108.

(6)

https://www.westfalen-blatt.de/owl/kreis-guetersloh/verl/was-wurde-jesus-dazu-sagen-945745

(7) Dietmar Pistorius, aaO., Seite 147.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

  • 11.3.2023
  • Michael Nitzke
  • © CCO Pixabay