Die
Mutter holt die Apfelschnitzel aus ihrem Rucksack und das selbst gebackene
Brot. Die Töchter–schätzungsweise zehn und zwölf Jahre alt– wollen lieber
Schokolade. „Zuerst das Brot, dann die Äpfelchen und zum Schluss Schokolade“
bestimmt die Frau Mama. „Seid froh, dass Papa überhaupt Schokolade mitgenommen
hat!“
Auch
sonst ist die Familie gut vorbereitet: An den Rucksäcken aller vier hängen
weiße Helme und bunte Klettersteig-Sets.
Vor
ihnen spannt sich eine etwa 100m lange Hängebrücke über eine eben so tiefe
Schlucht. Dahinter tut sich eine Felswand auf, die man über eine 40m lange
senkrechte Leiter erklimmen muss.
Nach
der Stärkung legt die Familie ihre Klettersteig-Sets an. „Liebster, ich habe
einen Auftrag für dich!“ sagt die Frau. „Nicht, runterschauen, auf gar keinen
Fall runterschauen, hörst du?“.„Ja…“-murmelt der Liebste.
Jetzt
lege auch ich mein Klettersteigset an. Gregor, mein Begleiter, nimmt einen
Schluck aus seinem Flachmann und hält ihn mir hin. Ich lehne mit einer
Handbewegung ab.
Da
höre ich plötzlich seltsamen Gesang. Herr Liebster hat die Brücke betreten und
offenbar damit begonnen, ein Mantra zu singen. Als wir beide auf der anderen
Seite, unmittelbar am Fuße der Leiter angekommen sind erklärt er mir: „Nennen
sie mich verrückt, aber ich leide unter Höhenangst! Meine Frau meint, ich müsse
mich meinen Ängsten stellen, deswegen sind wir hier.“
Inzwischen
ist auch seine Frau angekommen und sprudelt los: „Als ich 2016 an einer
Schwitzhütte in den Anden gewesen bin, habe ich zum ersten Mal erfahren, was
Mantra singen bewirken kann. Durch das laute Singen lösen sich alte
Glaubenssätze auf. Es hat mich komplett verändert und ich habe begonnen, meinem
Herzen zu folgen.“
„Man
sieht nur mit dem Herzen gut“; ergänzt ihr Mann. „Ja“, sage ich, „der Mensch
sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an (1.Sam.16,7).“ „Sie
glauben noch an Gott?“ fragt die Frau.
„Der
muss ja!“, wirft mein Begleiter flachsend in die Runde.
„Wenn
der Pfarrer nicht mehr an Gott glaubt, das wär´ ja, als wenn ich keinen Obstler
mehr trinken würde.“ Allgemeine Erheiterung.
„Die
Kirche kennt sich doch mit Ängsten gut aus“, meint die Frau plötzlich. „Die
Pilger, die im Mittelalter durch ganz Europa nach Rom oder Jerusalem gereist
sind, waren von der Angst getrieben, im Fegefeuer zu landen.“
„Ja“,
sage ich, „und es war ein langer Lernprozess für die Kirche, nicht mit den
Ängsten der Menschen zu spielen. Manchmal denke ich, dass es immer mehr Leute
in die Berge zieht, ist auch eine Art des Pilgerns. Das gab es übrigens auch
schon im alten Israel „Ich habe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir
Hilfe? Meine Hilfe kommt von Gott, der Himmel und Erde gemacht “ ist in der
Bibel zu lesen (Psalm 121,1). Die Überzeugung dahinter ist: Wer sich auf die
Suche nach Gott begibt, findet dabei zu sich selbst.
Redaktion: Pastorin
Sabine Steinwender-Schnitzius
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