Guten Morgen!
„Ich glaube, ich habe schon fast vergessen, wie das Wort
‚Glück‘ klingt.“, sagt Elsa. Ihr Leben war geprägt von
Schicksalsschlägen: Ihre jüngste Tochter stirbt bei einem Unfall. Ihr Mann und
sie trennen sich. Sie erkrankt an Krebs und pflegt ihre Eltern, das kostet viel
Kraft. Es gab Zeiten, da hat Elsa mit diesem Schicksal, mit ihrem Leben und mit
Gott gehadert. Früher hatte sie oft den Gottesdienst besucht. Doch irgendwann hat
sie verbittert gesagt: „Hat ja doch keinen Sinn, an Gott zu glauben“.
Lange vor Elsa hadert ein anderer mit Gott, mit
seinem Schicksal und seinem Leben. Im 73. Psalm in der Bibel macht er seinen
Gefühlen Luft und betet seinen Frust heraus:
Sprecher: „Sieh, das sind die Frevler, immer im Glück häufen sie Reichtum.“ (1)
Es ist unerträglich für den Beter zu sehen, dass scheinbar
immer die Glück haben, die sich um Gott nicht scheren. Die Bibel nennt
sie die Frevler. Sie lassen es sich einfach gut gehen, häufen Reichtümer an. Und er fragt sich: „Was habe ich eigentlich davon, dass ich versuche, mein
Leben an Gott auszurichten. Denn trotzdem erlebe ich so viel Schweres in meinem
Leben.“
Sprecher: „Ganz umsonst hielt ich mein Herz rein, wusch ich meine Hände in
Unschuld. Ich war geplagt jeden Tag.“ (2)
Doch dann passiert etwas. Ein Wendepunkt. Nicht
spektakulär. Der Beter erzählt, wie er eines Tages das Heiligtum Gottes, den
Tempel besucht. Dort gewinnt er die Gewissheit: Gott hält mein Leben, so wie es
ist, in den Händen, und er wird mich niemals fallenlassen. Und er kommt zu dem
überraschenden Bekenntnis:
Sprecher: „Mein Glück aber ist es, Gott nahe zu sein; bei Gott dem HERRN habe
ich meine Zuflucht.“ (3)
Was mag der Beter in Gottes Heiligtum erlebt haben,
das ihn aus Frust und Verbitterung zurück zur Hoffnung führt; aus tiefen
Zweifeln zu diesem Satz: „Gott nahe zu sein, das ist mein Glück!“? Vielleicht,
so stelle ich mir vor, sind es die Geschichten, die sich Menschen dort
erzählen: Geschichten von Bedrückung und Befreiung, von Wüstenzeiten und
sprudelnden Quellen, von ungewissen Aufbrüchen und von Bewahrung auf dem Weg.
Vielleicht sind es die Träume und kühnen Visionen, die Menschen dort
miteinander teilen: Dass über denen, die im Dunkeln wohnen, ein helles Licht
scheinen wird, dass die Großen klein gemacht werden und die Kleinen groß.
Vielleicht sind es die tröstlichen Bilder, die
Menschen dort einander vor Augen malen: Dass Gott unsere Tränen in einem Krug
sammelt und dass er uns einen Tisch deckt im Angesicht der Feinde.
Irgendwann taucht Elsa wieder in der Kirche auf. Sie
hat, so erklärt sie, „mit Gott noch ein Hühnchen zu rupfen“. Sie nimmt den
Faden ihres ins Wanken geratenen Glaubens wieder auf. Einmal sagt sie nach dem
Gottesdienst: „Ich glaube, ich kann mich wieder daran erinnern, wie das Wort
`Glück` klingt!“ Ihre Fragen und die Wunden bleiben. Doch sie weiß sich damit
von Gott gehalten.
Für ihre Beerdigung hat sie sich diesen Vers
ausgesucht: „Gott nahe zu sein, das ist mein Glück“. Als wir von ihr Abschied
nehmen, teilen wir die Hoffnung: Sie hat gefunden, wonach sie gesucht hat.
Es grüßt Sie Ihr Dietmar Arends,
Landessuperintendent aus Detmold.
Quellen:
(1) Psalm 73,12 (Zürcher Bibel)
(2) Psalm 73,13-14a (Zürcher Bibel)
(3) Palm 73,27 (Zürcher Bibel)
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58237_WDR3520220604Arends.mp3