Wiederholung vom 24.02.2021
Ich setze
mich auf den OP-Stuhl und lehne mich zurück.
Für die Fruchtbarkeitsfürsorge. Social Freezing. Eizellen entnehmen,
einfrieren und aufheben für später.
15-mal
bin ich umgezogen, das heißt 15 mal eine andere Frauenärztin und irgendwie auch
15-mal eine andere schwammige Diagnose „Könnte schwierig werden …“. „Aha.“
Und
obwohl ich meistens gar keinen akuten Kinderwunsch habe, ist da immer diese
Schwere: Das mit dem „guter Hoffnung sein“ das wird vielleicht nichts.
Oder
wenn, dann kommt erstmal das große Elend.
Das ist
zumindest das, was ich auf den Gesichtern von Frauen und Männern in den
Kinderwunschzentren sehe: Mag sich Sex im besten Fall himmlisch anfühlen,
Kindermachen in der Petrischale ist die Hölle. So viel stille Angst und Bangen
in den Wartezimmern, man könnte meinen, man ist auf der Krebsstation.
Aber
jetzt habe ich mich auf den OP-Tisch gesetzt.
Ich lehne
mich zurück und das Elend all der Menschen im Wartezimmer ist nicht mehr meins.
In meinem Kopf, Herz und Körper ein Satz, in den ich mich fallen lasse.
Mir wird
nichts mangeln. Ich fühle es.
Mir wird
nichts mangeln. Ich glaube es.
Mir wird
nicht mangeln. Ich bin mir sicher.
Die
Vollnarkose wirkt.
Mir wird
nichts mangeln aus Psalm 23 sind Worte, die zur Autosuggestion eigentlich nicht
taugen. Also zum Sich-selbst-etwas-Gutes-sagen. Positiv müsste so ein Satz
formuliert sein. Zum Beispiel: „Ich werde sein, die ich sein will, und alles haben,
was ich haben will.“ Aber das – das ist doch eine Illusion, oder? Nicht jeder
wird eine Mama, ein Papa, Oma oder Opa.
Da ist die Enttäuschung doch vorprogrammiert.
„Mir wird
nichts mangeln.“ Der Bibelvers ist einfach da. Die Worte tragen. Sie sind realistisch.
Und voller Vertrauen.
Das
zerbrechliche, komplizierte, wahre Leben kennt doch immer einen Mangel.
Da fehlt
immer was, manches ist für immer verloren, vieles erfüllt sich nie.
Ob das
der Wunsch ist, dass niemand jetzt in diesem Moment weltweit oder auf unseren
Intensivstationen unnötig leidet oder stirbt. Oder ob das mein ganz privates
kleines Glück ist.
Psalm 23
ist so realistisch und vertrauensvoll.
Dass es
ein erfülltes Leben gibt, ohne erfüllte Erwartungen. (Dietrich Bonhoeffer)
Die
Narkose lässt nach, es ist alles gut gegangen.
„Und was
machst du jetzt?“, fragen mich die, denen ich von meinem Eingriff erzähle:
„Nix“,
sage ich. „Ich wollte mir nur Zeit kaufen, eine Tür nicht zu früh schließen. Ich
will realistisch und vertrauensvoll leben. Ich erwarte nicht, dass ich alles
haben und sein werde. Ich erwarte nur eins: Mir wird nichts mangeln.“
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth
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