Aus rechtlichen Gründen enthält das Audio nicht die im Manuskript genannte Musik.
Musik
1: This Is the Beginning
Komposition: Sonja Glass,
Philipp Steinke & Valeska Steiner; Interpretin: BOY; Album: Mutual Friends;
Label: Grönland (Rough Trade); LC:
01387
Autorin: Gestern Abend ist der
Deutsche Evangelische Kirchentag in Nürnberg eröffnet worden! Christinnen und
Christen aus ganz Deutschland und aus der weltweiten Ökumene treffen sich. Das
Motto: Jetzt ist die Zeit. Auch ich bin bei diesem Glaubensfest dabei, bei dem
wir uns begegnen, singen, miteinander feiern und diskutieren. Bis Sonntag gibt
es unzählige Veranstaltungen: Podiumsdiskussionen, Vorträge, Gottesdienste,
Feste, offenes Singen, Großkonzerte und Kleinkunst. Immer wieder bin ich
inspiriert und überrascht, es macht mich nachdenklich und hoffnungsvoll.
O-Ton Brudereck: Ich liebe den
Kirchentag sehr.
Autorin: Sagt die Theologin und
Autorin Christina Brudereck.
O-Ton Brudereck: Es ist für mich die
schönste Form eigentlich von Kirche. Weil es so ein großes, weites Dach ist, wo
wir alle Platz drunter finden. Also, wo viele Platz drunter finden. Und es ist
immer so bunt und es gibt immer so unfassbar verrückte Sachen, auch. Wo ich gar
nicht wußte, dass es das in der Kirche auch gibt. Und dann gibt es so schöne
Schätze und Traditionen, die dazu gehören müssen, irgendwie. Und es gibt bunte
Schals und singen in der Straßenbahn.
Und ja, wir sind jetzt hier Kirchentag in Nürnberg. Und hier kommen ganz
viele Christinnen und Christen, Menschen mit Gottvertrauen, Skeptische,
Fragende, Zweifelnde, viele sehr engagierte au s ihren lokalen Gemeinden und
Gemeinschaften. Wir bergen uns unter einem Dach, aber unter dem Dach ist ganz
viel möglich. Wir feiern den Glauben. Das ist für mich Kirchentag.
Musik
1: This Is the Beginning
Autorin: Gestern
Abend hat Christina Brudereck auf dem Kornmarkt in Nürnberg bei einem der
großen Eröffnungsgottesdienste die Predigt gehalten. Sie lädt ein, den
Kirchentag als Möglichkeitsraum auszukosten, um miteinander zu debattieren.
Denn Kirchentag ist Zeitansage. Ein Forum, auf dem die brennenden Fragen
unserer Zeit auch im Licht der biblischen Botschaft bedacht werden. Die
biblischen Texte bieten Wurzelboden für das Handeln von Christinnen und
Christen und sind zugleich Kriterium der Glaubwürdigkeit. Für mich sind die
Geschichten der Mütter und Väter im Glauben mal Richtschnur, mal heilige
Unterbrechung, mal Ermutigung. Es ist gut, dass biblische Texte in Nürnberg
gehört werden. Christina Brudereck schätzt vor allem die Bibelarbeiten am
Morgen.
O-Ton
Brudereck: … Ich finde das sind die intensivsten Momente und ich finds
faszinierend, dass sich jeden Morgen Tausende um ein altes Buch versammeln. Und
das finde ich für unsere Kirche sehr wichtig: welche Geschichte erzählen wir?
Welche Geschichte lassen wir an uns ran?
Musik 2:
Telling Stories
Komposition/Text/Interpretin:
Tracy Chapman; Album: Greatest Hits; Label: Elektra Entertainment; LC: 00192
Autorin:
Das Motto des Evangelischen Kirchentages in Nürnberg lautet: „Jetzt ist die
Zeit.“ Es stammt aus einem kleinen Abschnitt im Markusevangelium.
Sprecher: Nachdem Johannes gefangen genommen worden war, ging Jesus nach Galiläa
und verkündete die frohe Botschaft Gottes. Er sprach: „Jetzt ist die Zeit:
Gottes gerechte Welt ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft. (1)
Autorin: Es
sind politische Worte. Johannes der Täufer wurde verhaftet, haftbar gemacht für
seine Botschaft. Der Evangelist Markus erzählt bewusst davon. Er solidarisiert
sich mit den Gefangenen, mit den Unterdrückten. Dann zitiert er Jesus mit
diesen Worten: Jetzt ist die Zeit! Es ist beinahe soweit. Die Zeit ist erfüllt,
die Zeit ist vollgemacht, so heißt es wörtlich im griechischen Text. Höchste Zeit
also, um Gott sein Herz zu schenken. Jesus macht deutlich, dass Gott eingreift,
inmitten der Zeitläufe, in denen scheinbar das Recht des Stärkeren siegt. (2)
Gott rettet das Kleine, Gott sucht die Verlorenen. Jesus drängt darauf: Es ist
höchste Zeit, über eine gerechte Welt nachzudenken.
Darüber wird der
Kirchentag diskutieren: Wie sehen die richtigen Schritte der Solidarität für
uns heute aus? Der Solidarität und Hilfe für die vom Krieg überfallenen
Menschen in der Ukraine? Eine Frage, die viele zerreißt, die unter uns
vielschichtig betrachtet wird. Darüber ist zu diskutieren und ja, zu ringen.
(3) Wie gut, dass der Kirchentag den Diskurs öffnet, findet der Pfarrer und
Autor Titus Reinmuth, der in diesen Tagen auch dabei ist:
O-Ton
Reinmuth: Ich schätze den Kirchentag auch sehr als einen Ort, wo verschiedene
Positionen einfach mal an einen Tisch gebracht werden. Ja, wo wirklich
irgendwie sachkundig, kompetent, aber strittig diskutiert wird. Ich hab so den
Eindruck in den letzten Jahren: viele sind doch in ihrer Bubble unterwegs und
es gibt kaum noch so die Bereitschaft, einem anderen Menschen, einer anderen
Position, die nicht doch irgendwie die eigene ist, mal in Ruhe zuzuhören. Und
damit zu rechnen: da sieht jemand was, was ich nicht sehe oder noch nicht so
sehe. Es sind ja selten Momente in den politischen Talkshows, wo mal einer
sagt: „stimmt, da haben Sie einen Punkt. Da haben Sie recht.“ Also, sowas will
ich auch mal wieder erleben, dass Leute gemeinsam um die politischen Fragen
ringen. Ernsthaft. Sich zuhören. Irgendwie weiterdenken.
Autorin:
Jetzt ist die Zeit. Aber wofür? Für
Kampfjets oder Verhandlungen? Für neue Heizungen, Windräder und Tempolimit? Für
neue Regeln oder neue Ideen? Für mehr Druck oder mehr Gelassenheit?
O-Ton
Reinmuth: Meine Tochter, die ist
Anfang zwanzig. Die fragt natürlich eher: Wieviel Zeit haben wir denn noch,
ja?! Das ist glaub ich auch in ihrem Freundeskreis stark Thema. Einmal die,
natürlich die große politische, wirtschaftliche Herausforderung: Klimawandel.
Sind wir die letzte Generation, die es noch abwenden kann? Oder ist es schon zu
spät? Die anderen Frauen auch in ihrem Umfeld fragen sich, denken jetzt darüber
nach: Will ich eigentlich nochmal Kinder in diese Welt setzen oder nicht? Wo
geht das hin? Also, dass jetzt ne Krisenzeit ist, erleben die natürlich sehr
deutlich.
Autorin:
So berichtet Titus Reinmuth von
seiner Tochter, und ich frage mich, was das eigentlich beutet, wenn Jesus sagt:
Jetzt ist die Zeit. Wir haben doch auch viel Zeit verplempert mit Blick auf die
Klimakrise. Zurecht müssen wir die Frage der nächsten Generation aushalten. Was
machen wir mit der kurzen Zeit? Kehrt um! Ändert euch! Jesu Wort von der
Umkehr. Es ist bitternötig und so schwer. Ich kenne das von mir. Wie mühsam es
ist, eingespielte Muster zu verlassen, Meinungen, die ich mir gemacht habe, zu
überdenken. Jetzt ist die Zeit! Das ist nichts Statisches. Das bringt mich in
Bewegung.
Musik 3: New Beginning
Komposition/Interpreton: Judy
Bailey; Album: Traveling; Label: Gerth Medien; LC: 13743
Autorin:
„Jetzt ist die Zeit“ – dieses Motto
bedeutet für Titus Reinmuth noch etwas ganz anderes. „Mit dir wird es
leichter“. So heißt das aktuelle Buch des Autors, das er in Nürnberg mit seiner
Band „Kreuzweise“ als Rockstory in Wort und Ton auf die Bühne bringt. Die
Geschichte ist komplett als Dialog geschrieben. Tim erfährt, dass er Krebs hat
und nimmt Kontakt mit Sarah auf, seiner Freundin aus Kindertagen. Die beiden
schreiben im Chat. Weil Schreiben wirkt (4). Das Gespräch zwischen den beiden
ist ein sensibler Blick auf die besondere Qualität von Zeit. Wie das Leben neu
spürbar wird, wenn es durch eine Krankheit jäh ausgebremst ist. Als ob das
Leben anders kostbar wird durch eine solche Unterbrechung. Eine Geschichte mit
Herz und Verstand.
O-Ton
Reinmuth: Das ist tatsächlich die Erfahrung des Protagonisten Tim. Klammer auf
– das bin schon zu 80 / 90% ich selbst – Klammer zu. Ich hab das erlebt, wie
sich die Zeit eben plötzlich verändert durch so eine Krebsdiagnose. Selbst wenn
es dann bald heißt: ist behandelbar. Kommen Sie durch, wird ein bisschen
strapaziös, aber es wird gehen. Das beruhigt schonmal. Trotzdem hat man da ja
aber einen Weg vor sich und trotzdem ist das eine Zäsur. Plötzlich stellt Tim
sich Fragen, die ihn ja jetzt direkter berühren als früher. Du weißt das
theoretisch. Die Lebenszeit ist begrenzt. Und jetzt rückt es Tim einfach auf
den Leib.
Autorin: Aber Tim muss da nicht alleine durch. Da ist ja noch
Sarah. „Mit dir wird es leichter“ hat einen Untertitel: „Ein Jahr, eine
Freundschaft und 1001 Nachricht“. Man versteht sofort…
O-Ton
Reinmuth: …da ist eine Freundschaft. Und die gehen irgendwie zusammen durch die
Krise hindurch. Und durch die Freundschaft wird diese Zeit leichter. Aber genau
das ist die Erfahrung von Tim. Jetzt ist die Zeit zu leben! Und das führt bei
ihm zu einem unglaublichen Lebenshunger auch.
Also
ein Nebenplot ist, dass er unbedingt mit seiner alten Kindergartenfreundin
Sara, mit der er sich schreibt, möchte er unbedingt nochmal eine Reise machen,
weil sie früher in Schweden, auf der Insel Öland, in der Kindheit und Jugend
auch schöne Urlaube verbracht haben. Ja, so ein bisschen verliebt waren die
schon damals. Und er möchte jetzt diese Freundschaft auskosten, er möchte
möglichst bald nochmal diese Reise machen. Und, und und. Das ist einfach eine
Erkenntnis, die jetzt ihn richtig tief erfasst hat. Das Leben ist jetzt und nicht
irgendwann. Jetzt ist die Zeit zu leben.
Musik 4: Hope
Komposition: Jack Johnson
& Zach Rogue; Interpret: Jack Johnson; Album: Sleep Through the Static;
Label: Universal (Universal Music); LC: 97777
Autorin:
Das Leben ist jetzt. Tim, der
Protagonist des Buches ist mittendrin im verwobenen Lebensteppich von schwerem
und leichtem. Er lebt sein Leben während der Krankheit im Trotzdem. Trotz
allem, mit allem, mit Trotzkraft und Trost. Trost auch, den er sich selbst
nicht geben kann. Neben unserer Zeit gibt es noch eine andere Kraft. Von ihr
spricht die Theologin Christina Brudereck.
O-Ton
Brudereck: Ich hab mich sehr besonnen darauf, dass es neben Zeit auch noch
Ewigkeit gibt. Also, ne ganz andere Kraft, die über uns hinausreicht. Und zwar
nicht, um mich darauf zu vertrösten, sondern um das hier überhaupt auszuhalten.
Weil ich merke, aus eigener Kraft und nur mit eigener Inspiration werden wir es
wahrscheinlich nicht schaffen. Es gibt noch etwas. Das ist anders als unsere
Zeit, anders als unsere Kraft, anders als das, was wir an Verständigung und
Gemeinschaft schaffen. Es gibt dieses Moment von Überraschung, Heiliger
Geistkraft. Wir sind nicht allein. Wir sind verbunden. Aber das ist mehr als
nur: wir sind tausend! Ja, sondern da ist immer tausend und etwas mehr. Was wir
nicht erklären können, nur mit uns selbst. Und das brauchen wir dringend. Ich
brauchs in meinem Alltag dringend. Weil ich sonst, ja, sonst reicht mir die
Zeit nicht. Aber dadurch dass ein Ewigmoment dazukommt, verlier ich die
Lebenslust nicht.
Autorin:
Meine Lebenszeit ist nicht das
Einzige, da ist noch ein Ewigmoment. Oder um es mit dem Kirchentagspsalm 31 zu
sagen:
Sprecher:
Ich habe mein Vertrauen auf dich gerichtet,
LEBENDIGE. Ich habe gesagt: Mein Gott bist du! In deiner Hand sind meine Zeiten
(4)
Autorin:
Der Präsident des 38. Deutschen
Evangelischen Kirchentags Thomas de Maizière hatte gemeinsam mit dem Präsidium
die Idee, in jeder Veranstaltung dieser Woche eine freie Minute zu haben. Eine
Minute zur freien Verfügung – nicht gestaltet, nicht verdudelt, ohne Impuls.
Titus Reinmuth findet die Idee gut. Die Band Kreuzweise wird die Minute
umsetzen.
O-Ton
Reinmuth: Ich bin sehr gespannt, wie wir das erleben werden auf dem Kirchentag,
wenn in jeder Veranstaltung irgendwann der Punkt kommt, wo es dann heißt, so
jetzt gibt es die freie Minute. Eine Minute kein Input, keine Musik, nichts.
Einfach nur zur freien Verfügung. Ist ja erstmal eine interessante Idee. In
unserem Programm gibt es einfach einen sehr schönen leichten Song, der heißt
„Jetzt und Hier“. Da geht es darum das Leben Jetzt und hier anzunehmen und zu
genießen. Und ich glaub wir machen das so, … wenn da so der letzte Refrain
ausplätschert, dann gibt es diese eine Minute.
O-Ton
Musik: Jetzt und Hier (Auszug live)
Autorin:
Ich freu‘ mich auf bei diesem
Kirchentag dabei zu sein. Mit anderen gemeinsam immer mal wieder still zu
werden in diesen freien Minuten und den Zauber des Lebens bewußt zu genießen.
Mir klarzumachen, wieviel ich in meinem Leben verändern kann, der Umwelt
zuliebe. Auch, weil es neben meiner Zeit den Ewigmoment gibt. Das wünsche ich
auch Ihnen, ob in Nürnberg oder an ihrem Ort. Gottvertrauen und intensive
Momente an diesem Feiertag. Ihre Susanne Wolf, Pfarrerin aus Wuppertal.
Musik: Why not
Komponist/Interpret: Chris Botti; Album: Slowing Down the World; Label:
The Verve Music Group; LC: 89825
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/61079_GW230608WolfohneMusik.mp3