Wiederholung vom 26.07.2021, WDR2
Ich bin total verspannt. Kennen
Sie das auch? Schulter, Nacken, Rücken. Kein Wunder: bei dem Stress. Ich habe
nicht weniger, sondern mehr Arbeit. Trotz Corona. Jetzt sitze ich bei der Physiotherapie.
Die Therapeutin schaut mich
mit ihren rehbraunen Augen an. Drückt hier, drückt da und sagt: Ich mache jetzt
mal ein Experiment mit Ihnen. Sie nimmt meinen Arm, den sie gegen meinen Widerstand
runterdrücken will. Es gelingt ihr mühelos. Mein Arme zittert, ist kraftlos. Zumindest
auf der rechten Seite. Sie lächelt und sagt: Ich habe kaum Kraft aufgewandt. Wir
probieren jetzt mal was aus. Mir ist alles Recht. Allein die Ruhe, die diese
Frau ausstrahlt, entspannt mich schon. Sie stellt den Cassettenrecorder an,
drückt mir eine Postkarte in die Hand und bewegt meinen rechten Arm hoch und
runter. Ich starre auf ein Feld, es ist gelb. Abgeerntet. Strohballen liegen
dort, fein säuberlich gebündelt. Im Hintergrund Bäume. Daneben stehen die
Wörter: Gelassenheit, Optimismus, Geborgenheit, Zufriedenheit.
Ich merke, wie ich loslasse, ganze
Muskelgruppen entspannen sich. Gelassenheit – das trifft es. Mehr Gelassenheit.
Mein Feld ist doch längst bestellt. Jetzt ist es Zeit, die Ernte einzufahren.
Heute, morgen, übermorgen. Auf einen Tag kommt es doch gar nicht an.
Die Ernte meines Lebens. Viel
geht, nicht alles muss. Was für eine Fülle. Warum dann der Stress. Genießen ist
jetzt angesagt. Es ist Sommer. Loslassen, ablassen, weglassen.
Sich auf`s Feld legen und
sich freuen über all das, was ist.
Die Therapeutin wechselt die
Seite. Jetzt ist der linke Arme dran. Dasselbe Spiel. Dann kommt der finale
Check. Ich hebe den Arm hoch und sie versucht, ihn runterzudrücken. Wahnsinn.
Sie schafft es nicht! Ich bin zurück in meiner Energie. Ganz ohne
Kraftanstrengung!
Ich möchte den Rest des Tages auf der Liege
bleiben. Spüre jetzt erst, wie erschöpft ich bin. Schon am frühen Morgen. Die
Zeit ist um. Ich nehme das Bild in meinem Herzen mit.
Und immer wieder führe ich
mir die Ernte meines Lebens vor Augen. Die Bewegung der Arme imaginiere ich. Es
funktioniert. Ich schwöre. Body sense nennt sich diese Methode. Ich gehe zurück
in`s Büro und treffe Entscheidungen. Eins, zwei, drei – zack weg damit.
Den Ballast – brauche ich
nicht mehr.
In meiner nächsten Sitzung
bekomme ich die Karte mit einem Schnee bedeckten Berggipfel. Klarheit steht da.
Genau, denke ich und plane Urlaub in den Dolomiten. Ich kann nur sagen: Der
Körper weiß mehr, als wir. So wunderbar sind wir gemacht. Gott hat uns diesen
Kompass gegeben. Nutzen müssen wir ihn allerdings selbst.
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