Kraut oder Unkraut

Kirche in WDR2 | 16.11.2022 | 00:00 Uhr

Es ist seltener geworden,

aber es gibt es immer noch: Das Unkraut am Wegesrand. Kornblumen, Disteln,

Löwenzahn manchmal auch Hagebutten oder dornenreiche Wildrosen.

Der Wegesrand ist ein ganz

eigener, schützenswerter und botanisch interessanter Lebensbereich. Und einer, der

mich an eine biblische Fabel erinnert:

Weil sie es den Menschen und

den Tieren gleichtun wollten, beschließen die Pflanzen, einen König zu wählen.

Zuerst wählen Sie den beliebten und stattlichen Olivenbaum. „Du Olive, sei

unser König“. Aber der Olivenbaum lehnt ab: „Freunde, dann müsste ich ja mein

herrliches Öl aufgeben, das Götter und Menschen gleichermaßen erfreut. Und

wofür? Nur um als König über euch zu herrschen? Nein danke.“

Als nächstes fragen die

Pflanzen den Feigenbaum. Aber auch der Feigenbaum lehnt ab: „Soll ich meine

süßen Früchte aufgeben, nur um über euch zu herrschen? Nee dankeschön.“

Nun fragen die Pflanzen den

Weinstock. Aber auch der lehnt ab und will seinen Wein und die Freude, die er

damit verbreitet, nicht aufgeben.

Nach drei deutlichen

Abfuhren wenden sich die Pflanzen an den Dornbusch: „Sei du unser König!“ Erstaunlicherweise

ist der Dornbusch überhaupt nicht überrascht. Im Gegenteil: Er hat sich bislang

eher verkannt gefühlt. Und darum nimmt er die Königswürde schnell und stolz an.

Diese Geschichte steht in

der Bibel, im Buch der Richter. Ein gewisser Jotam hat sie erzählt. Jotam

musste sich danach übrigens schnell vom Acker machen. Denn solche Worte über

die Mächtigen und Regierenden waren auch damals schon außerordentlich unbeliebt.

Aber bleiben wir beim

Dornbusch: Alleine in der Bibel gibt es über 20 verschiedene stachelige und

dornige Sträucher, die namentlich benannt werden. Für unsere Heilige Schrift

ist der Dornbusch das Symbol für das Unkraut schlechthin. Schon in der

Schöpfungsgeschichte wird der Acker, den Adam bearbeiten soll, mit Dornen und

Disteln verflucht. Der Dornbusch ist wertlos und ein Ärgernis.

Und dennoch: Gott spricht zu

Mose aus einem Dornbusch heraus. Die einzige Krone, die Jesus aus Nazareth

jemals getragen hat, war eine Dornenkrone. Und über Jesus heißt es ja bei

Jesaja, dass er der Allerverachteste und Unwerteste aller Menschen gewesen ist.

Gott sei Dank ist das letzte

Wort darüber, ob etwas Kraut oder Unkraut ist, noch lange nicht gesprochen.

Nicht bei den Pflanzen.

Und auch nicht bei den Menschen.

Quelle:

Gerhard Engelsberger, Wunderwege. Gütersloher Verlagshaus, 1. Auflage 2015, S.

32-33; ISBN 978-3-579-07426-9

Redaktion: Pastorin Sabine

Steinwender-Schnitzius

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  • 16.11.2022
  • Matthias Köhler
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