Mir klääve am Lääve

Kirche in WDR3 | 20.02.2023 | 00:00 Uhr

D’r Zooch kütt –

Guten Morgen!

Rosenmontag im Rheinland –

Für viele bedeutet das: Ausnahmezustand.

Und manche packt die Koffer und nimmt Reißaus.

Die Fronten sind klar:

Lappenclowns, Hunnen und Bibo aus der Sesamstraße

auf der einen,

Muuzepuckel (1) –

also die, die nicht scharf auf Karneval sind – auf der anderen Seite.

Stundenlang kriecht d’r Zooch durch die Kölner

Veedel;

begleitet von Wachsoldaten mit‘em Knabüs – dem

Gewehr – im Arm,

Regimentskapellen mit Trommeln, Pfeifen und Schellenbaum,

Tanzgarden mit Tanzoffizier und Tanzmarie.

Kanonen donnern alle paar Meter.

Dazu Alaaf-Rufe vom Straßenrand.

Rosenmontag im Rheinland, der ist bunt und laut

und schön.

Und Rosenmontag im Rheinland, der ist gegen Krieg

und für Lebensfreude.

Denn im Knabüs

– also in dem Gewehr, das die Wachsoldaten im Arm

haben –

stecken Blumen statt tödlicher Munition

und die laut donnernden Kanonen sind mit buntem Konfetti

geladen.

D’r Zooch auf der rheinischen Nulllinie

gleicht einer bunten Luftschlange.

Echt militärisch ist

da nichts.

Musik:

denn mir Kölsche, mir klääve wie d’r Düvel am Lääve

uns Kölsche nimmp keiner – ejal wat och weed

dä Spaß für ze laache, dä Bock jet ze maache

mir klääve am Lääve, uns kritt keiner klein ( 2 )

Sangen

die Blääck Fööss 1984.

Singe

ich immer noch.

Mir

klääve am Lääve, also wir hängen am Leben –

so

sieht’s aus.

Das

ist kein doller neuer Karnevalshit.

Aber

knapp ein Jahr nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine

halte

ich ihn für so aktuell

wie

nie.

Die

Fööss besingen in ihren Liedern den Klimawandel genauso

wie

die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Welt.

Und

klar ist:

Sie

finden, beides kann gut mal

ohne

Köln und ohne die Jecken stattfinden.

Denn

die hängen am Leben und am Frieden:

Musik:

un wenn ihr meint, dat et sech’rer weed wemmer jet rüsten deit

un wenn ihr meint, wä am lauteste schreit wör em Räch,

dann haut üch de Köpp en – domet mer üch loss sin

denn ohne üch kumme mer vill besser zeräch (3)

Ich

mag die rheinische Gelassenheit im Karneval –

auch

mit so ne Muutzepuckel am Tresen zu stehen.

Und

ich freu‘ mich, wenn dem dann doch mal ein Lachen rausrutscht.

Ich

krieg des Öfteren mal um die Ohren gehauen,

Karneval,

das sei ja nur Besäufnis und Radau.

Aber

das stimmt nicht.

Karneval

hat viel mit Gelassenheit zu tun,

mal

Fünfe grade sein lassen, …

Heute

wünsche ich mir

mehr denn je –

wenn

schon Panzer in Stellung gebracht werden müssen,

wenn

schon Soldaten dahinterstehen müssen,

dass nur

Konfetti und Blumen fliegen.

Ist

das nur ein Traum?

Selbst

wenn. Ich kenn‘ eine, die hat ihn mitgeträumt:

Die

Theologin Dorothee Sölle. Für den Frieden hatte sie immer

ein

paar Worte übrig. Worte, die ich uns heute mit auf den Zooch geben möchte:

Sprecher(in):

„Jesus, unser Bruder,

du legst die Tötungsindustrie lahm

du treibst den Wunsch nach Totsicherheit aus

unsern Herzen

du machst uns frei uns zu wehren; …“ (4)

Was für eine Zuversicht,

im Glauben an Jesus Christus wird alles anders

– wird Frieden.

Und sich wehren, das geht auch mit Strüssje im Knabüs.

Ich glaub‘ fest daran.

Und bin dankbar für die Schwester, die mir das

vorbetet.

Ihre

Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel aus Odenthal.

Anmerkungen:

(1) Wortbedeutung:

https://www.koelsch-woerterbuch.de/muuzepuckel-auf-deutsch-965.html (zuletzt

aufgerufen: 05.02.2023).

(2) +

(3) Mir klääve am Lääve; Album: Et Es 20 Johr Jenau Jetz Her (1990),

Disc 1, Track 8; Interpret:in: Bläck Fööss, Geschrieben von: Erry Stoklosa,

Günter Lückerath, Hartmut Priess, Peter Schuetten, Tomas R. Engel –

Traditional, Willy Schnitzler, Produzent:in: Klaus Voormann, Quelle: EMI.

(4)

Aus Gebet und Predigt von Dorothee Sölle, Predigt

im Lübecker Dom am 6. September 1980 mit Gebeten, https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/001711.html (zuletzt

aufgerufen: 10.02.2023).

Redaktion:

Landespfarrerin

Petra Schulze

  • 20.2.2023
  • Julia-Rebecca Riedel
  • © CCO Pixabay