Guten Morgen.
Vermutlich
kennen Sie das auch: Man fährt mit dem Auto auf einen Zebrastreifen zu – so wie
ich kürzlich in der Kölner Innenstadt. Und bei dem Gewusel von Menschen ist die
Wahrscheinlichkeit natürlich ziemlich hoch, dass da jemand drüber gehen will
und ich anhalten zu muss. Selbstverständlich. Die Straßenbahnhaltestelle links
sorgt für einen fast ununterbrochen Menschenstrom. Wann kommt denn nun endlich
die Lücke zwischen den Passanten, die mir erlaubt, dass ich weiterfahre? Die
Regel ist klar: Du starker Autofahrer oder Du, mächtige Autofahrerin, wartest
bis auch wirklich der letzte Fußgänger, die letzte Fahrradfahrerin, der letzte
Straßenbahngast, der letzte Rollerfahrer, die letzte Dame mit ihrem Foxterrier in
aller Seelenruhe die Straße überquert hat.
So die
Situation. Ich stelle mich also auf eine längere Wartezeit ein. Da sehe ich,
dass mit dem Menschenstrom von links ein Mann auf den Zebrastreifen zusteuert.
Ein Mann, der aussieht wie jemand, der wahrscheinlich obdachlos ist, einer von
denen, die es richtig schwer haben
müssen; und daher auch einer von denen, denen man von Herzen gönnen würde, dass
das Recht ausnahmsweise mal auf ihrer Seite ist. Und so ein Zebrastreifen ist nun
mal eine hervorragende Gelegenheit, das eigene Recht in Anspruch zu nehmen.
Aber dann! Ich denk, ich seh` nicht recht: Auf einmal
breitet dieser Mann die Arme weit aus und hält damit abrupt den Strom der Leute
hinter ihm auf. Mit der nächsten Geste winkt er dann uns Autofahrern zu und
lässt zwei oder drei von uns passieren. Kurze ritterliche Verbeugung und der Menschenstrom
über dem Zebrastreifen fließt weiter… Sowas Nettes – denke ich. Der Mann war
einen Augenblick lang König, und wir kleinen Autofahrer Nutznießer seiner Gunst
und Freundlichkeit. Er selbst hat nichts davon gehabt und sich wahrscheinlich auch
den berechtigten Ärger der anderen Zebrastreifen-Überquerer eingehandelt. Aber
für diesen kurzen Moment der Freiheit, der Freundlichkeit und Großzügigkeit
bin ich dankbar.
Vielleicht
fragt sich der eine oder die andere, ob dieses Erlebnis alleine schon eine kirchliche
Morgenandacht ausmacht. Ich würde sagen: Ja. Denn ich sehe es so: Freundlichkeit,
Freiheit und ein uneigennütziges Herz sind Gottesgeschenke.
Ihnen allen
einen schönen Tag, Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.
Redaktion:
Landespfarrerin Petra Schulze
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