Gott ist queer

Sonntagskirche | 13.11.2022 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen.

Josef

träumt viel und gerne.

Sein

Vater Jakob liebt Josef besonders unter all seinen Söhnen und schenkt ihm einen

bunten Mantel, den Josef gern anzieht. Seine Brüder finden Josef sowieso schon eingebildet

und überheblich, in diesem bunten, auffälligen Teil noch mehr. Irgendwann, als

sie mit ihm allein auf einem Feld sind, verprügeln sie ihn und verkaufen ihn an

eine Karawane, die nach Ägypten zieht.

So

kommt Josef als Sklave nach Ägypten, landet dort im Gefängnis und wird trotzdem

später zum Vertrauten des Pharaos. Denn Josef hat eine Gabe: Er kann Träume

deuten. Oder anders formuliert: Gott lässt ihn Dinge verstehen und wahrnehmen,

die andere nicht erkennen. Der Pharao hört auf Josef und kann so das Land in

einer großen Hungersnot schützen.

Soweit

eine bekannte Bibelgeschichte. Was kaum jemand weiß: Josefs bunter Mantel, den

sein Vater ihm schenkt, ist im Bibeltext im hebräischen Original eigentlich ein

Kleid, und zwar das Kleid einer Königstochter, ein Prinzessinnenkleid.

Das

hat die Übersetzer der Geschichte irritiert. Das passt doch nicht zu einem

Mann, dachten sie. Und so haben sie es einfach anders übersetzt. Dabei liegt

darin – leider – auch eine Erklärung dafür, warum die Brüder so brutal mit

Josef umgegangen sind. Die Gewalt, die Josef widerfährt, kann man lesen als

Teil der queerfeindlichen Gewalt, die bis heute andauert. In den letzten

Monaten gab es immer wieder gewalttätige Übergriffe gegen queere Menschen, bis

hin zu dem tödlichen Angriff auf den trans Mann Malte beim Christofer Street

Day in Münster.

Viel

zu oft geschah und geschieht diese queerfeindliche Gewalt auch im Namen der

Religion. Dabei ist die Erkenntnis, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt,

gar nicht modern.

Gott

selbst wird in der Bibel nicht nur als Vater, sondern auch als Mutter bezeichnet.

Schon am Anfang der Bibel heißt es: „Gott schuf den Menschen zu seinem/zu ihrem

Bilde: Männlich und weiblich schuf Gott sie.“ (1. Mose 1,27) Gott ist beides.

Männlich und weiblich. Alle Menschen sind zum Bilde Gottes geschaffen – mit

männlichen und weiblichen Anteilen.

Auch

im Johannesevangelium gibt es einen interessanten Satz. Da heißt es: Jesus ist

im „Mutterschoß des Vaters“. (Johannes 1,18) Ja, das steht da. Man könnte auch

in der „Gebärmutter des Vaters“ übersetzen. Gott als Vater hat einen

Mutterschoß.

Gott

selbst sprengt die Grenzen einer angeblichen Zweigeschlechtlichkeit. Gott

selbst ist – wenn man so will – queer, genderfluid, divers.

So

divers wie die Menschen, die zu Gottes Bilde geschaffen sind.

Irgendwann

begegnet Josef seinen Brüdern wieder. Er vergibt ihnen. Und auf einmal können

sie Josef, Josefine, Jo so sehen, wie er – oder sie – wirklich ist und wie Gott

ihn – oder sie – schon die ganze Zeit sieht: klug, feinfühlig und erfolgreich.

Josefs Geschichte ist auch eine queere Geschichte. Sie erzählt von

brutaler Gewalt und von dem Schmerz, von der eigenen Familie abgelehnt zu

werden.

Und davon, dass Gott den Diskriminierten und Unterdrückten besonders nah ist.

Gott ist ein sicherer Ort für alle Josefs, Josefines, Jos. Und es ist mehr als

höchste Zeit, dass es diesen sicheren Ort überall gibt: in jedem Teil der

Gesellschaft und vor allem in der Kirche.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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  • 13.11.2022
  • Miriam Haseleu
  • © CCO Pixabay
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