Guten
Morgen.
Josef
träumt viel und gerne.
Sein
Vater Jakob liebt Josef besonders unter all seinen Söhnen und schenkt ihm einen
bunten Mantel, den Josef gern anzieht. Seine Brüder finden Josef sowieso schon eingebildet
und überheblich, in diesem bunten, auffälligen Teil noch mehr. Irgendwann, als
sie mit ihm allein auf einem Feld sind, verprügeln sie ihn und verkaufen ihn an
eine Karawane, die nach Ägypten zieht.
So
kommt Josef als Sklave nach Ägypten, landet dort im Gefängnis und wird trotzdem
später zum Vertrauten des Pharaos. Denn Josef hat eine Gabe: Er kann Träume
deuten. Oder anders formuliert: Gott lässt ihn Dinge verstehen und wahrnehmen,
die andere nicht erkennen. Der Pharao hört auf Josef und kann so das Land in
einer großen Hungersnot schützen.
Soweit
eine bekannte Bibelgeschichte. Was kaum jemand weiß: Josefs bunter Mantel, den
sein Vater ihm schenkt, ist im Bibeltext im hebräischen Original eigentlich ein
Kleid, und zwar das Kleid einer Königstochter, ein Prinzessinnenkleid.
Das
hat die Übersetzer der Geschichte irritiert. Das passt doch nicht zu einem
Mann, dachten sie. Und so haben sie es einfach anders übersetzt. Dabei liegt
darin – leider – auch eine Erklärung dafür, warum die Brüder so brutal mit
Josef umgegangen sind. Die Gewalt, die Josef widerfährt, kann man lesen als
Teil der queerfeindlichen Gewalt, die bis heute andauert. In den letzten
Monaten gab es immer wieder gewalttätige Übergriffe gegen queere Menschen, bis
hin zu dem tödlichen Angriff auf den trans Mann Malte beim Christofer Street
Day in Münster.
Viel
zu oft geschah und geschieht diese queerfeindliche Gewalt auch im Namen der
Religion. Dabei ist die Erkenntnis, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt,
gar nicht modern.
Gott
selbst wird in der Bibel nicht nur als Vater, sondern auch als Mutter bezeichnet.
Schon am Anfang der Bibel heißt es: „Gott schuf den Menschen zu seinem/zu ihrem
Bilde: Männlich und weiblich schuf Gott sie.“ (1. Mose 1,27) Gott ist beides.
Männlich und weiblich. Alle Menschen sind zum Bilde Gottes geschaffen – mit
männlichen und weiblichen Anteilen.
Auch
im Johannesevangelium gibt es einen interessanten Satz. Da heißt es: Jesus ist
im „Mutterschoß des Vaters“. (Johannes 1,18) Ja, das steht da. Man könnte auch
in der „Gebärmutter des Vaters“ übersetzen. Gott als Vater hat einen
Mutterschoß.
Gott
selbst sprengt die Grenzen einer angeblichen Zweigeschlechtlichkeit. Gott
selbst ist – wenn man so will – queer, genderfluid, divers.
So
divers wie die Menschen, die zu Gottes Bilde geschaffen sind.
Irgendwann
begegnet Josef seinen Brüdern wieder. Er vergibt ihnen. Und auf einmal können
sie Josef, Josefine, Jo so sehen, wie er – oder sie – wirklich ist und wie Gott
ihn – oder sie – schon die ganze Zeit sieht: klug, feinfühlig und erfolgreich.
Josefs Geschichte ist auch eine queere Geschichte. Sie erzählt von
brutaler Gewalt und von dem Schmerz, von der eigenen Familie abgelehnt zu
werden.
Und davon, dass Gott den Diskriminierten und Unterdrückten besonders nah ist.
Gott ist ein sicherer Ort für alle Josefs, Josefines, Jos. Und es ist mehr als
höchste Zeit, dass es diesen sicheren Ort überall gibt: in jedem Teil der
Gesellschaft und vor allem in der Kirche.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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