Guten Morgen!
Vor vielen Jahren begegne ich in einem Dorf auf der
Insel Sumatra in Indonesien einem jungen Pfarrer. Er überrascht mich mit der
Aussage: „Meine wichtigste Aufgabe als Pfarrer hier ist es, den Bewohnerinnen
und Bewohnern meines Dorfes zu Toiletten zu verhelfen.“ Wie kommt er dazu?
Seine Antwort: „Wie kann ich den Menschen, das Evangelium verkündigen – die
gute Nachricht von der Liebe Gottes – und sie gleichzeitig in Lebensverhältnissen
belassen, die sie krank machen? Stellen Sie sich vor: Die Menschen hier müssen denselben
Fluss für die Toilette benutzen, aus dem sie ihr Trinkwasser nehmen. Das
einfach so hinzunehmen, ist nicht vereinbar mit dem Evangelium.“
An diese Begegnung muss ich denken, als ich vor
einiger Zeit von Johann Friedrich Oberlin gelesen habe. Als junger Mann kommt
er vor über 250 Jahren als Pfarrer nach Waldersbach im Steintal – heute würden
wir den Ort als sozialen Brennpunkt bezeichnen. Die Gemeinde gilt damals als
eine der ärmsten und am meisten verwahrlosten im ganzen Elsass. Für Oberlin ist
schnell deutlich: Ich kann hier nicht als Pfarrer arbeiten, ohne mich dafür
einzusetzen, dass sich die furchtbaren Lebensverhältnisse der Menschen ändern. Das
gehört für ihn zum Evangelium, der guten Nachricht von der Liebe Gottes, untrennbar
dazu.
So packt er an: Er verbessert mit den Bauern
gemeinsam die Anbaumethoden in der Landwirtschaft, baut mit ihnen
Bewässerungsanlagen, erschließt abgelegene Gebiete mit Straßen und Brücken,
kümmert sich um bessere Wohnverhältnisse, hygienische Bedingungen,
Arbeitsmöglichkeiten und vieles andere mehr.
Besonders wichtig sind ihm die Kinder. Zu sehen, wie
die Kinder aufwachsen, treibt ihm die Tränen in die Augen. „Sie haben mehr
Schläge als Brot gesehen“, sagt Oberlin. Sein Mitleid aber führt ihn
unmittelbar zur Tat. Und da ist er dann seiner Zeit weit voraus. Er sagt:
„Erzieht eure Kinder ohne zuviel Strenge … mit andauernder zarter Güte, jedoch
ohne Spott.“ (1)
Oberlin erkennt den Wert der Bildung für die Zukunft
der Kinder. Er gründet einen Vorläufer der heutigen Kindertagesstätten. Er
führt eine Schulpflicht ein. Beides für Mädchen und Jungen. Die Freude am
Lernen steht für ihn im Mittelpunkt.
Er entwickelt sogar selber Spiele und Materialien,
die an der Lebenswelt der Kinder ausgerichtet sind. Er begegnet den Kindern,
die oft als billige Arbeitskräfte missbraucht werden, mit Liebe und Achtung für
ihre jeweilige Persönlichkeit.
Mich erinnert das daran, wie Jesus einmal einer
Gruppe von Kindern begegnet ist. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Lasst doch die
Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn für Menschen wie sie ist
das Reich Gottes da.“ (2) Jesus begegnet den Kindern mit Wertschätzung. Wenn
wir Kindern respektvoll begegnen und wertschätzend mit ihnen umgehen, bleibt
kein Platz für Gewalt, für Missbrauch oder Ausbeutung. Johann Friedrich Oberlin
hat sein ganzes Leben damit zugebracht, das Leben der Kinder und auch der
Erwachsenen in seiner Gemeinde zu verbessern.
Heute vor knapp 200 Jahren ist er gestorben. Mich
beeindruckt, wie sein Glaube seinen Blick auf die Menschen verändert hat. Er
hat sie angeschaut als von Gott geliebte Geschöpfe. Und das hat ihr Leben
verändert.
Es grüßt Sie Ihr Dietmar Arends,
Landessuperintendent aus Detmold.
Quellen:
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Oberlin (letzter Abruf 04.05.2022)
(2) Markus 10,14 BasisBibel.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58234_WDR3520220601Arends.mp3