Musik
1: Choral (instrumental)
Kommt,
Kinder, lasst uns gehen, Komponist: Heinrich Schütz 1628, Text: Gerhard
Tersteegen; Interpreten: Das Solistenensemble, Leitung: Gerhard Schnitter
Album: Gott ist gegenwärtig – Die schönsten Tersteegen Lieder; Label: Hänssler
Verlag; LC: 06047.
Autorin: Als
ich am Morgen leise die Treppe hinabsteige, um keinen zu wecken, steht mein alter
Vater schon am Fuß der Treppe und sucht im Schuhregal nach seinen
Straßenschuhen.
„Na, Tinka, gut geschlafen? Ich gehe mal
Brötchen kaufen.“
„Ist gut, Papa“ sage ich. Und beiße mir im
selben Moment auf die Lippen. Das hätte ich nicht sagen sollen. Eine direkte
Vorlage. Und schon höre ich den Kommentar meines Vaters, wie ich ihn schon
hunderte Male gehört habe: „Gut? Gut ist es erst, wenn wir in Gottes Ewigkeit
sind.“ Sagt’s und zieht die Haustür hinter sich zu. Und während mein Vater
seine Schritte Richtung Gottes Ewigkeit und Bäcker Schmitz lenkt, mache ich
mich erstmal auf dem Weg zur Kaffeemaschine.
Musik 1:
Choral, Strophe 1
Sprecher (overvoice):
Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Abend kommt
herbei; es ist gefährlich stehen in dieser Wüstenei. Kommt, stärket euren Mut,
zur Ewigkeit zu wandern von einer Kraft zur andern; es ist das Ende gut, es ist
das Ende gut.
Autorin:
„Ermunterungslied
für Pilger“ – so überschreibt Gerhard Tersteegen sein Lied von der Wanderschaft
Richtung Ewigkeit. Der Text ist erstmals veröffentlicht in Tersteegens
Liedersammlung „Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen“, erschienen 1738 und
findet sich als Lied auch in unserem Evangelischen Gesangbuch.
In
allen Epochen des Christentums entstehen dynamische Bewegungen aus dem Glauben
und der tiefen Überzeugung, dass wir Menschen nur „Gast auf Erden“ sind. „Wir
haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ – so
formuliert es der Hebräerbrief (Hebr 13,14). Im Mittelalter sind es die
Wallfahrer, die mit ihren Wanderungen nach Rom oder Jerusalem innerlich immer
auf dem Weg Richtung Ewigkeit sind.
Zu
Lebzeiten Tersteegens blüht die Sehnsucht nach der Ewigkeit im Pietismus neu
auf. Gerhard Tersteegen wird ein wichtiger Vertreter des reformierten
Pietismus. Diese Bewegung betont die persönliche Frömmigkeit. Wer glaubt,
strebt nach innerer geistlicher Erneuerung. Die biblische Botschaft hat dann
konkrete Folgen für das täglich Leben. Wer sich mit Gottes Wort
auseinandersetzt, erlebt eine innere Erneuerung, die nach außen wirkt.
Gerhard
Tersteegen ist berührt von der Ewigkeit Gottes. In seinen Liedern und Predigten
strahlt diese Ewigkeit ins Hier und Jetzt und taucht die Lebenswirklichkeit der
Menschen in Gottes Licht. So inspiriert kümmert sich Gerhardt Tersteegen als
Heilpraktiker um Kranke, als freier Prediger lockt er die Menschen in Scharen
an. Aber immer ist es die Sehnsucht nach etwas, was außerhalb dieser Welt
liegt, die ihn antreibt. Alles menschliche Denken und Tun ist für Tersteegen
ein Pilgern. Und das Ziel ist immer die Ewigkeit Gottes.
Musik 1: Choral, Strophe 6
Sprecher (overvoice):
Kommt, Kinder, lasst uns gehen,
der Vater gehet mit; er selbst will bei uns stehen bei jedem sauren Tritt; er will uns machen Mut, mit süßen
Sonnenblicken uns locken und erquicken;
ach ja, wir haben’s gut, ach ja, wir haben’s gut.
Autorin: Bevor
ich meine erste Tasse Kaffee ausgetrunken habe, ist mein Vater schon wieder vom
Bäcker zurück. Voller Freude zieht er seine frisch erworbenen Schätze aus der
Bäckertüte und breitet sie vor mir aus. „Haben wir es nicht gut, Tinka?“ – Ich
verkneife mir jeden Kommentar in Sachen „gut“ und „Ewigkeit“ und nicke nur. So
ein frisches Croissant kann doch eine richtige Wohltat im Hier und Jetzt sein. Und
eben als ich mich ganz den weltlichen Freuden aus Butter und Weißmehl ergeben
will, kommt die ständige Jenseitsorientierung meines Vaters mir dazwischen:
„Lesen wir erstmal die Losung und dann beten wir“.
Als Kind hat mich das oft frustriert. Kann
ein Croissant nicht einfach nur ein Croissant sein? Kann ich nicht einfach mal essen
ohne zu beten? Hier und jetzt und ohne Ewigkeit?
Nun sind aber seit meiner Kindheit ein paar
Jahrzehnte vergangen und vom Lebensweg liegt mehr hinter mir als noch vor mir
liegt. Ich könnte auch sagen: Ich komme der Ewigkeit so langsam näher. Und mit
zunehmender Lebenserfahrung und abnehmender Lebenszeit scheinen mir Losung und
Gebet nicht ganz abwegig in Kombination mit meinem täglich Brot. Ich lasse mich
also locken. Wir lesen die Losung: zwei Bibelworte für den Tag, Altes und Neues
Testament, ausgelost von der Herrnhuter Brüdergemeinde. Die hatte damals
übrigens versucht, den Liederdichter Gerhard Teerstegen für sich zu gewinnen. Das
gelang zwar nicht, Teestegen ging eigene Wege, aber man fühlte sich verbunden.
Musik 1: Choral, Strophe 7
Sprecher (overvoice):
Kommt, Kinder, lasst uns wandern,
wir gehen Hand in Hand; eins freuet sich am andern in diesem wilden Land. Kommt, lasst uns kindlich sein, uns auf dem Weg nicht streiten; die Engel selbst begleiten als Brüder unsre Reihn, als Brüder unsre Reihn.
Autorin: Ich
muss noch einmal kurz auf meinen Vater zu sprechen kommen. Vor einigen Monaten
ist er umgezogen in eine Seniorenwohnanlage. Als er am Umzugstag an der
Rezeption steht, sagt er zu dem jungen Mann hinter dem Tresen: „Guten Tag, ich
ziehe hier heute ein und dies ist hoffentlich mein vorletzter Umzug.“ Ich halte
mich ein wenig im Hintergrund und sehe zu, wie bei dem jungen Mann langsam der
Groschen fällt. Als der Groschen fällt, traut er sich nur verhalten zu lachen.
Witze über den Tod sind eine sensible Angelegenheit. Mein Vater lacht dafür
umso lauter und freut sich kindlich über seinen Witz, den er sich vermutlich
schon lange für diesen Moment zurechtgelegt hat.
So weltfremd er oft für mich ist, mein Vater,
in solchen Momenten bewundere ich seine vergnügte Leichtigkeit. Er ist schon
lange aufgebrochen in die Ewigkeit Gottes. Hat sie immer gesucht, war im
Aufbruch solange ich ihn kenne, und zuweilen hat er sie gefunden, die Ewigkeit
im Hier und Jetzt. Gottes Ewigkeit war immer Teil seiner Endlichkeit.
So ein Sinn für die Ewigkeit, gibt auch mir eine
völlig neue Sicht auf die Welt. Und das Pilgern kann eine Fluchtbewegung sein,
aber eben auch wie der goldene Schimmer auf meinem Lebensweg. Gottes Licht auf
mein Hier und Jetzt.
Musik 1: Choral, Strophe 11
Sprecher (overvoice):
Drauf wollen wir’s denn wagen,
es ist wohl wagenswert, und gründlich dem absagen,
was aufhält und beschwert. Welt, du bist uns zu klein; wir gehn durch Jesu Leiten hin in die Ewigkeiten: Es soll nur Jesus sein, es soll
nur Jesus sein.
Quellen: Karl
Christian Thust, Die Lieder des Evangelischen Gesangbuchs. Kommentar zu
Entstehung, Text und Musik, Band 2, Kassel 2015, 254-257.
Redaktion:
Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth