"Kommt, Kinder, lasst uns gehen", eg 393

Choralandacht | 25.02.2023 | 00:00 Uhr

Musik

1: Choral (instrumental)

Kommt,

Kinder, lasst uns gehen, Komponist: Heinrich Schütz 1628, Text: Gerhard

Tersteegen; Interpreten: Das Solistenensemble, Leitung: Gerhard Schnitter

Album: Gott ist gegenwärtig – Die schönsten Tersteegen Lieder; Label: Hänssler

Verlag; LC: 06047.

Autorin: Als

ich am Morgen leise die Treppe hinabsteige, um keinen zu wecken, steht mein alter

Vater schon am Fuß der Treppe und sucht im Schuhregal nach seinen

Straßenschuhen.

„Na, Tinka, gut geschlafen? Ich gehe mal

Brötchen kaufen.“

„Ist gut, Papa“ sage ich. Und beiße mir im

selben Moment auf die Lippen. Das hätte ich nicht sagen sollen. Eine direkte

Vorlage. Und schon höre ich den Kommentar meines Vaters, wie ich ihn schon

hunderte Male gehört habe: „Gut? Gut ist es erst, wenn wir in Gottes Ewigkeit

sind.“ Sagt’s und zieht die Haustür hinter sich zu. Und während mein Vater

seine Schritte Richtung Gottes Ewigkeit und Bäcker Schmitz lenkt, mache ich

mich erstmal auf dem Weg zur Kaffeemaschine.

Musik 1:

Choral, Strophe 1

Sprecher (overvoice):

Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Abend kommt

herbei; es ist gefährlich stehen in dieser Wüstenei. Kommt, stärket euren Mut,

zur Ewigkeit zu wandern von einer Kraft zur andern; es ist das Ende gut, es ist

das Ende gut.

Autorin:

„Ermunterungslied

für Pilger“ – so überschreibt Gerhard Tersteegen sein Lied von der Wanderschaft

Richtung Ewigkeit. Der Text ist erstmals veröffentlicht in Tersteegens

Liedersammlung „Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen“, erschienen 1738 und

findet sich als Lied auch in unserem Evangelischen Gesangbuch.

In

allen Epochen des Christentums entstehen dynamische Bewegungen aus dem Glauben

und der tiefen Überzeugung, dass wir Menschen nur „Gast auf Erden“ sind. „Wir

haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ – so

formuliert es der Hebräerbrief (Hebr 13,14). Im Mittelalter sind es die

Wallfahrer, die mit ihren Wanderungen nach Rom oder Jerusalem innerlich immer

auf dem Weg Richtung Ewigkeit sind.

Zu

Lebzeiten Tersteegens blüht die Sehnsucht nach der Ewigkeit im Pietismus neu

auf. Gerhard Tersteegen wird ein wichtiger Vertreter des reformierten

Pietismus. Diese Bewegung betont die persönliche Frömmigkeit. Wer glaubt,

strebt nach innerer geistlicher Erneuerung. Die biblische Botschaft hat dann

konkrete Folgen für das täglich Leben. Wer sich mit Gottes Wort

auseinandersetzt, erlebt eine innere Erneuerung, die nach außen wirkt.

Gerhard

Tersteegen ist berührt von der Ewigkeit Gottes. In seinen Liedern und Predigten

strahlt diese Ewigkeit ins Hier und Jetzt und taucht die Lebenswirklichkeit der

Menschen in Gottes Licht. So inspiriert kümmert sich Gerhardt Tersteegen als

Heilpraktiker um Kranke, als freier Prediger lockt er die Menschen in Scharen

an. Aber immer ist es die Sehnsucht nach etwas, was außerhalb dieser Welt

liegt, die ihn antreibt. Alles menschliche Denken und Tun ist für Tersteegen

ein Pilgern. Und das Ziel ist immer die Ewigkeit Gottes.

Musik 1: Choral, Strophe 6

Sprecher (overvoice):

Kommt, Kinder, lasst uns gehen,

der Vater gehet mit; er selbst will bei uns stehen bei jedem sauren Tritt; er will uns machen Mut, mit süßen

Sonnenblicken uns locken und erquicken;

ach ja, wir haben’s gut, ach ja, wir haben’s gut.

Autorin: Bevor

ich meine erste Tasse Kaffee ausgetrunken habe, ist mein Vater schon wieder vom

Bäcker zurück. Voller Freude zieht er seine frisch erworbenen Schätze aus der

Bäckertüte und breitet sie vor mir aus. „Haben wir es nicht gut, Tinka?“ – Ich

verkneife mir jeden Kommentar in Sachen „gut“ und „Ewigkeit“ und nicke nur. So

ein frisches Croissant kann doch eine richtige Wohltat im Hier und Jetzt sein. Und

eben als ich mich ganz den weltlichen Freuden aus Butter und Weißmehl ergeben

will, kommt die ständige Jenseitsorientierung meines Vaters mir dazwischen:

„Lesen wir erstmal die Losung und dann beten wir“.

Als Kind hat mich das oft frustriert. Kann

ein Croissant nicht einfach nur ein Croissant sein? Kann ich nicht einfach mal essen

ohne zu beten? Hier und jetzt und ohne Ewigkeit?

Nun sind aber seit meiner Kindheit ein paar

Jahrzehnte vergangen und vom Lebensweg liegt mehr hinter mir als noch vor mir

liegt. Ich könnte auch sagen: Ich komme der Ewigkeit so langsam näher. Und mit

zunehmender Lebenserfahrung und abnehmender Lebenszeit scheinen mir Losung und

Gebet nicht ganz abwegig in Kombination mit meinem täglich Brot. Ich lasse mich

also locken. Wir lesen die Losung: zwei Bibelworte für den Tag, Altes und Neues

Testament, ausgelost von der Herrnhuter Brüdergemeinde. Die hatte damals

übrigens versucht, den Liederdichter Gerhard Teerstegen für sich zu gewinnen. Das

gelang zwar nicht, Teestegen ging eigene Wege, aber man fühlte sich verbunden.

Musik 1: Choral, Strophe 7

Sprecher (overvoice):

Kommt, Kinder, lasst uns wandern,

wir gehen Hand in Hand; eins freuet sich am andern in diesem wilden Land. Kommt, lasst uns kindlich sein, uns auf dem Weg nicht streiten; die Engel selbst begleiten als Brüder unsre Reihn, als Brüder unsre Reihn.

Autorin: Ich

muss noch einmal kurz auf meinen Vater zu sprechen kommen. Vor einigen Monaten

ist er umgezogen in eine Seniorenwohnanlage. Als er am Umzugstag an der

Rezeption steht, sagt er zu dem jungen Mann hinter dem Tresen: „Guten Tag, ich

ziehe hier heute ein und dies ist hoffentlich mein vorletzter Umzug.“ Ich halte

mich ein wenig im Hintergrund und sehe zu, wie bei dem jungen Mann langsam der

Groschen fällt. Als der Groschen fällt, traut er sich nur verhalten zu lachen.

Witze über den Tod sind eine sensible Angelegenheit. Mein Vater lacht dafür

umso lauter und freut sich kindlich über seinen Witz, den er sich vermutlich

schon lange für diesen Moment zurechtgelegt hat.

So weltfremd er oft für mich ist, mein Vater,

in solchen Momenten bewundere ich seine vergnügte Leichtigkeit. Er ist schon

lange aufgebrochen in die Ewigkeit Gottes. Hat sie immer gesucht, war im

Aufbruch solange ich ihn kenne, und zuweilen hat er sie gefunden, die Ewigkeit

im Hier und Jetzt. Gottes Ewigkeit war immer Teil seiner Endlichkeit.

So ein Sinn für die Ewigkeit, gibt auch mir eine

völlig neue Sicht auf die Welt. Und das Pilgern kann eine Fluchtbewegung sein,

aber eben auch wie der goldene Schimmer auf meinem Lebensweg. Gottes Licht auf

mein Hier und Jetzt.

Musik 1: Choral, Strophe 11

Sprecher (overvoice):

Drauf wollen wir’s denn wagen,

es ist wohl wagenswert, und gründlich dem absagen,

was aufhält und beschwert. Welt, du bist uns zu klein; wir gehn durch Jesu Leiten hin in die Ewigkeiten: Es soll nur Jesus sein, es soll

nur Jesus sein.

Quellen: Karl

Christian Thust, Die Lieder des Evangelischen Gesangbuchs. Kommentar zu

Entstehung, Text und Musik, Band 2, Kassel 2015, 254-257.

Redaktion:

Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

  • 25.2.2023
  • Anne Kathrin Quaas
  • © CCO Pixabay