Nun lasst uns gehn und treten“ (eg 58)

Choralandacht | 31.12.2022 | 00:00 Uhr

Musik

1 (instrumental)

Titel:

Nun lasst uns gehn und treten; Text: Paul Gerhardt; Komposition: Nikolaus

Selnecker; Satz: Johann Crüger; Interpreten: Collegium vocale Siegen; Leitung:

Ulrich Stötzel; Album: Die schönsten Choräle von Paul Gerhardt; Label: Gerth

Medien; LC: 13743

Autor: Jahreswechsel.

Das alte Jahr geht zu Ende, der letzte Abend dieses Jahres liegt vor uns. Manche

stellen schon mal den Sekt kalt oder holen das Fondue-Set aus der

Abstellkammer, andere studieren das Fernsehprogramm oder legen die Musik

zurecht für heute Abend. Manche freuen sich schon auf diese Stunden in

geselliger Runde, andere bleiben heute Abend bewusst zu zweit, wieder andere

sind allein, oft ein wenig unfreiwillig. Es ist ein eigenartiger Abend zwischen

den Jahren. Eigentlich passiert gar nichts Besonderes, und doch haben die

meisten sich angewöhnt, zum Jahreswechsel innezuhalten. Loslassen und

Aufbrechen, Abschied nehmen und neu Anfangen, das gehört zu so einem

Silvesterabend, auch diese Spannung zwischen freudigem und ängstlichem

Erwarten, was da wohl kommen mag im neuen Jahr.

Musik

1 (Choral, Str. 1)

Sprecherin

(overvoice)

1.

Nun lasst uns gehn und treten

mit

Singen und mit Beten

zum

Herrn, der unserm Leben

bis

hierher Kraft gegeben.

Autor:

Paul

Gerhardt hat diese Verse gedichtet. Bestimmt wird der Choral heute Abend in

vielen evangelischen Kirchen gesungen. Er klingt nach Aufbruch: Gott hat uns

bis hierher Kraft gegeben, also lasst uns auch mit Vertrauen in dieses neue

Jahr gehen. Paul Gerhardt schreibt diese Zeilen 1648, zum Ende des 30jährigen

Krieges. Der hat sein ganzes Leben bestimmt. Er ist ein Junge von elf Jahren,

als der Krieg beginnt. Mit 14 wird er Vollwaise. Das Elternhaus wird durch

marodierende Truppen niedergebrannt. Sein Bruder Christian stirbt 1637 an der

Pest. Aber jetzt: eine Zeitenwende – und zwar eine zum Guten: vom Alten zum

Neuen, vom Krieg zum Frieden, vom Unheil zum Heil. „Schließ zu die

Jammerpforten“, so dichtet Gerhardt weiter, „und lass an allen Orten auf so

viel Blutvergießen die Freudenströme fließen.“ Seit fünf Jahren lebt und

arbeitet der lutherische Theologe als Hauslehrer in Berlin. Mehr als die Hälfte

der Bevölkerung ist dort dem Krieg oder der Pest zum Opfer gefallen. An eine

Pfarrstelle oder die Gründung einer Familie ist noch immer nicht zu denken. Seine

Erlebnisse verarbeitet Paul Gerhardt immer wieder in Liedtexten.

Musik 2 (Choral, Str. 2+3)

Titel:

Nun lasst uns gehn und treten; Text: Paul Gerhardt; Komposition: Nikolaus

Selnecker; Satz: Johann Crüger; Interpreten: Solistenensemble; Leitung: Gerhard Schnitter; Album: Die größten Choräle aus

fünf Jahrhunderten; Label: Hänssler;

LC: 07224

Sprecherin

(overvoice)

2.

Wir gehn dahin und wandern

von

einem Jahr zum andern,

wir

leben und gedeihen

vom

alten bis zum neuen.

3.

durch so viel Angst und Plagen,

durch

Zittern und durch Zagen,

durch

Krieg und große Schrecken,

die

alle Welt bedecken.

Autor: Angst und

Plagen, Krieg und Schrecken stehen Paul Gerhardt noch vor Augen. Er hat das alles

erlebt. Auch bei uns gibt in diesem Jahr Bilder, die uns noch lange verfolgen

werden, vor allem Bilder von Terror und Krieg. Auf welche Wege geraten wir da?

Wohin bewegt sich die Welt, in der wir heute leben? All die Jahresrückblicke

werden von Bildern aus der Ukraine überschattet. Menschen in Not, in der Kälte,

ohne Wasser, Strom, Heizung. Familien, die ihre Angehörigen zu Grabe tragen,

traurig und verzweifelt.

In

solcher Not sind wir nicht. Aber viele haben Angst, was wird. Können wir

wirklich darauf vertrauen, dass Gott uns behütet, dass er alles Leid wendet,

wie Paul Gerhardt dichtet?

Daneben

wird es bei vielen heute die persönlichen Bilder geben. Den eigenen

Jahresrückblick. Welche Wege habe ich genommen, ist das alles gelungen, was

musste ich in diesem Jahr bewältigen, was macht mir noch weiter zu schaffen? Zum

Glück auch: Worüber habe ich mich gefreut, wofür bin ich dankbar? Und wie immer

an Silvester drängen sich die Fragen nach der persönlichen Zukunft auf: neue

Aufgaben, Chancen und Hoffnungen, die sich schon andeuten, aber auch

unbewältigte Probleme, die ich mitnehme ins kommende Jahr. Eigentlich blättern

wir nur eine Seite im Kalender um, aber heute werden sich viele noch einmal

besonders bewusst, was gewesen ist und was jetzt kommen soll.

1648, zum Ende des 30jährigen Krieges, geht Paul Gerhardt mit Gottvertrauen ins

neue Jahr.

Musik

1 (Choral, Str. 7+11)

Sprecherin

(overvoice)

7. Gelobt

sei deine Treue,

die

alle Morgen neue;

Lob

sei den starken Händen,

die

alles Herzleid wenden.

11.

Sprich deinen milden Segen

zu

allen unsern Wegen,

lass

Großen und auch Kleinen

die

Gnadensonne scheinen.

Autor:

Manche

wissen schon, was auf sie zukommt im nächsten Jahr. Eine ist schwanger, der

Geburtstermin ist ausgerechnet für Anfang März. Einer geht in den Ruhestand,

die Verabschiedung ist geplant für Ende April. Im Mai ist eine Konfirmation, im

Sommer kommt die jüngste Enkelin in die Schule. Oder: Eine Operation ist

geplant, nichts Großes, aber es muss sein. Der Termin steht schon fest, und ein

Risiko ist es immer. Andere üben sich unverdrossen an guten Vorsätzen: mehr

Bewegung, mehr auf sich selbst achten, öfter mal Nein sagen. Und dann ist da

noch all das, was dazwischenkommt. Zwischen uns und unsere Pläne. Eine

Bewerbung lässt sich so gut an, und dann wird doch nichts daraus. Der Urlaub ist

geplant, alle freuen sich, und dann kommt plötzlich diese Diagnose. Der Kredit

fürs Haus muss verlängert werden, und ausgerechnet jetzt meldet die Firma Insolvenz

an.

Musik

3 (Choral, Str. 12+13)

Titel:

Nun lasst uns gehn und treten; Text: Paul Gerhardt; Komposition: Nikolaus

Selnecker; Satz: Johann Crüger; Interpreten: Klaus Mertens, Bassbariton u.a., Album:

Telemannisches Gesangbuch, Label: SWR2-/Carus-Verlag Stuttgart 2013; LC:

unbekannt

12.

Sei der Verlassnen Vater,

der

Irrenden Berater,

der

Unversorgten Gabe,

der

Armen Gut und Habe.

13.

Hilf gnädig allen Kranken,

gib

fröhliche Gedanken

den

hochbetrübten Seelen,

die

sich mit Schwermut quälen.

Autor:

15

Strophen hat der Choral, gegen Ende klingen sie wie ein Fürbittengebet. Paul

Gerhardt bittet für die Verlassenen, die Irrenden, die Unversorgten, die Armen,

die Kranken und die Traurigen. An den Weihnachtstagen haben uns die

Gottesdienste daran erinnert,

dass

Gott selbst zur Welt gekommen ist. Er hat unsere Nähe gesucht, er hat sich selbst

in das Leben und Leiden der Menschen hineinbegeben. Gott hat uns wissen lassen,

daß er immer mit uns auf dem Weg ist. Es gibt überhaupt nichts, was uns von

seiner Liebe trennen kann.

Viele

von uns wissen: Es gibt Nachtzeiten im Leben, die endlos scheinen. Es gibt

Verhältnisse in der Welt, die zum Himmel schreien und den Glauben an Gottes

Nähe schwer machen.

Aber

wir dürfen uns vergewissern: Gott geht mit am Tag und in der Nacht.

Dietrich

Bonhoeffer hat sich Ende 1944 in seiner Gefängniszelle von diesen Liedstrophen

Paul Gerhardts bewegen lassen. Unter ihrem Eindruck schrieb er selbst seine

berühmten Zeilen: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und

getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen

in ein neues Jahr.“

Musik

3 (Choral, Str. 14+15)

14.

Und endlich, was das meiste,

füll

uns mit deinem Geiste,

der

uns hier herrlich ziere

und

dort zum Himmel führe.

15.

Das alles wollst du geben,

o

meines Lebens Leben,

mir

und der Christen Schare

zum

sel’gen neuen Jahre.

  • 31.12.2022
  • Titus Reinmuth
  • © CCO Pixabay