Musik
1 (instrumental)
Titel:
Nun lasst uns gehn und treten; Text: Paul Gerhardt; Komposition: Nikolaus
Selnecker; Satz: Johann Crüger; Interpreten: Collegium vocale Siegen; Leitung:
Ulrich Stötzel; Album: Die schönsten Choräle von Paul Gerhardt; Label: Gerth
Medien; LC: 13743
Autor: Jahreswechsel.
Das alte Jahr geht zu Ende, der letzte Abend dieses Jahres liegt vor uns. Manche
stellen schon mal den Sekt kalt oder holen das Fondue-Set aus der
Abstellkammer, andere studieren das Fernsehprogramm oder legen die Musik
zurecht für heute Abend. Manche freuen sich schon auf diese Stunden in
geselliger Runde, andere bleiben heute Abend bewusst zu zweit, wieder andere
sind allein, oft ein wenig unfreiwillig. Es ist ein eigenartiger Abend zwischen
den Jahren. Eigentlich passiert gar nichts Besonderes, und doch haben die
meisten sich angewöhnt, zum Jahreswechsel innezuhalten. Loslassen und
Aufbrechen, Abschied nehmen und neu Anfangen, das gehört zu so einem
Silvesterabend, auch diese Spannung zwischen freudigem und ängstlichem
Erwarten, was da wohl kommen mag im neuen Jahr.
Musik
1 (Choral, Str. 1)
Sprecherin
(overvoice)
1.
Nun lasst uns gehn und treten
mit
Singen und mit Beten
zum
Herrn, der unserm Leben
bis
hierher Kraft gegeben.
Autor:
Paul
Gerhardt hat diese Verse gedichtet. Bestimmt wird der Choral heute Abend in
vielen evangelischen Kirchen gesungen. Er klingt nach Aufbruch: Gott hat uns
bis hierher Kraft gegeben, also lasst uns auch mit Vertrauen in dieses neue
Jahr gehen. Paul Gerhardt schreibt diese Zeilen 1648, zum Ende des 30jährigen
Krieges. Der hat sein ganzes Leben bestimmt. Er ist ein Junge von elf Jahren,
als der Krieg beginnt. Mit 14 wird er Vollwaise. Das Elternhaus wird durch
marodierende Truppen niedergebrannt. Sein Bruder Christian stirbt 1637 an der
Pest. Aber jetzt: eine Zeitenwende – und zwar eine zum Guten: vom Alten zum
Neuen, vom Krieg zum Frieden, vom Unheil zum Heil. „Schließ zu die
Jammerpforten“, so dichtet Gerhardt weiter, „und lass an allen Orten auf so
viel Blutvergießen die Freudenströme fließen.“ Seit fünf Jahren lebt und
arbeitet der lutherische Theologe als Hauslehrer in Berlin. Mehr als die Hälfte
der Bevölkerung ist dort dem Krieg oder der Pest zum Opfer gefallen. An eine
Pfarrstelle oder die Gründung einer Familie ist noch immer nicht zu denken. Seine
Erlebnisse verarbeitet Paul Gerhardt immer wieder in Liedtexten.
Musik 2 (Choral, Str. 2+3)
Titel:
Nun lasst uns gehn und treten; Text: Paul Gerhardt; Komposition: Nikolaus
Selnecker; Satz: Johann Crüger; Interpreten: Solistenensemble; Leitung: Gerhard Schnitter; Album: Die größten Choräle aus
fünf Jahrhunderten; Label: Hänssler;
LC: 07224
Sprecherin
(overvoice)
2.
Wir gehn dahin und wandern
von
einem Jahr zum andern,
wir
leben und gedeihen
vom
alten bis zum neuen.
3.
durch so viel Angst und Plagen,
durch
Zittern und durch Zagen,
durch
Krieg und große Schrecken,
die
alle Welt bedecken.
Autor: Angst und
Plagen, Krieg und Schrecken stehen Paul Gerhardt noch vor Augen. Er hat das alles
erlebt. Auch bei uns gibt in diesem Jahr Bilder, die uns noch lange verfolgen
werden, vor allem Bilder von Terror und Krieg. Auf welche Wege geraten wir da?
Wohin bewegt sich die Welt, in der wir heute leben? All die Jahresrückblicke
werden von Bildern aus der Ukraine überschattet. Menschen in Not, in der Kälte,
ohne Wasser, Strom, Heizung. Familien, die ihre Angehörigen zu Grabe tragen,
traurig und verzweifelt.
In
solcher Not sind wir nicht. Aber viele haben Angst, was wird. Können wir
wirklich darauf vertrauen, dass Gott uns behütet, dass er alles Leid wendet,
wie Paul Gerhardt dichtet?
Daneben
wird es bei vielen heute die persönlichen Bilder geben. Den eigenen
Jahresrückblick. Welche Wege habe ich genommen, ist das alles gelungen, was
musste ich in diesem Jahr bewältigen, was macht mir noch weiter zu schaffen? Zum
Glück auch: Worüber habe ich mich gefreut, wofür bin ich dankbar? Und wie immer
an Silvester drängen sich die Fragen nach der persönlichen Zukunft auf: neue
Aufgaben, Chancen und Hoffnungen, die sich schon andeuten, aber auch
unbewältigte Probleme, die ich mitnehme ins kommende Jahr. Eigentlich blättern
wir nur eine Seite im Kalender um, aber heute werden sich viele noch einmal
besonders bewusst, was gewesen ist und was jetzt kommen soll.
1648, zum Ende des 30jährigen Krieges, geht Paul Gerhardt mit Gottvertrauen ins
neue Jahr.
Musik
1 (Choral, Str. 7+11)
Sprecherin
(overvoice)
7. Gelobt
sei deine Treue,
die
alle Morgen neue;
Lob
sei den starken Händen,
die
alles Herzleid wenden.
11.
Sprich deinen milden Segen
zu
allen unsern Wegen,
lass
Großen und auch Kleinen
die
Gnadensonne scheinen.
Autor:
Manche
wissen schon, was auf sie zukommt im nächsten Jahr. Eine ist schwanger, der
Geburtstermin ist ausgerechnet für Anfang März. Einer geht in den Ruhestand,
die Verabschiedung ist geplant für Ende April. Im Mai ist eine Konfirmation, im
Sommer kommt die jüngste Enkelin in die Schule. Oder: Eine Operation ist
geplant, nichts Großes, aber es muss sein. Der Termin steht schon fest, und ein
Risiko ist es immer. Andere üben sich unverdrossen an guten Vorsätzen: mehr
Bewegung, mehr auf sich selbst achten, öfter mal Nein sagen. Und dann ist da
noch all das, was dazwischenkommt. Zwischen uns und unsere Pläne. Eine
Bewerbung lässt sich so gut an, und dann wird doch nichts daraus. Der Urlaub ist
geplant, alle freuen sich, und dann kommt plötzlich diese Diagnose. Der Kredit
fürs Haus muss verlängert werden, und ausgerechnet jetzt meldet die Firma Insolvenz
an.
Musik
3 (Choral, Str. 12+13)
Titel:
Nun lasst uns gehn und treten; Text: Paul Gerhardt; Komposition: Nikolaus
Selnecker; Satz: Johann Crüger; Interpreten: Klaus Mertens, Bassbariton u.a., Album:
Telemannisches Gesangbuch, Label: SWR2-/Carus-Verlag Stuttgart 2013; LC:
unbekannt
12.
Sei der Verlassnen Vater,
der
Irrenden Berater,
der
Unversorgten Gabe,
der
Armen Gut und Habe.
13.
Hilf gnädig allen Kranken,
gib
fröhliche Gedanken
den
hochbetrübten Seelen,
die
sich mit Schwermut quälen.
Autor:
15
Strophen hat der Choral, gegen Ende klingen sie wie ein Fürbittengebet. Paul
Gerhardt bittet für die Verlassenen, die Irrenden, die Unversorgten, die Armen,
die Kranken und die Traurigen. An den Weihnachtstagen haben uns die
Gottesdienste daran erinnert,
dass
Gott selbst zur Welt gekommen ist. Er hat unsere Nähe gesucht, er hat sich selbst
in das Leben und Leiden der Menschen hineinbegeben. Gott hat uns wissen lassen,
daß er immer mit uns auf dem Weg ist. Es gibt überhaupt nichts, was uns von
seiner Liebe trennen kann.
Viele
von uns wissen: Es gibt Nachtzeiten im Leben, die endlos scheinen. Es gibt
Verhältnisse in der Welt, die zum Himmel schreien und den Glauben an Gottes
Nähe schwer machen.
Aber
wir dürfen uns vergewissern: Gott geht mit am Tag und in der Nacht.
Dietrich
Bonhoeffer hat sich Ende 1944 in seiner Gefängniszelle von diesen Liedstrophen
Paul Gerhardts bewegen lassen. Unter ihrem Eindruck schrieb er selbst seine
berühmten Zeilen: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und
getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen
in ein neues Jahr.“
Musik
3 (Choral, Str. 14+15)
14.
Und endlich, was das meiste,
füll
uns mit deinem Geiste,
der
uns hier herrlich ziere
und
dort zum Himmel führe.
15.
Das alles wollst du geben,
o
meines Lebens Leben,
mir
und der Christen Schare
zum
sel’gen neuen Jahre.